Diskriminierung und Rassismus sind gesellschaftliche Machtverhältnisse, die in Deutschland täglich bewusst und unbewusst durch Einzelpersonen, in Institutionen, Organisationen, Vereinen und Diskursen (re-) produziert werden. Insbesondere die strukturelle Verankerung wird in Deutschland jedoch weiterhin tabuisiert. Geflüchtete mit einem unsicheren Aufenthalt sind dabei in besonderem Maße von benachteiligenden und legal verankerten diskriminierenden Strukturen betroffen. Eine Anerkennung von (institutionellem) Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem würde den Weg ebnen, um eine rassismuskritische Haltung zu entwickeln. Welche rassistischen Wissensbestände in Behörden bestehen und wie eine rassismuskritische Organisationsentwicklung im eigenen Umfeld etabliert werden kann, beleuchteten die Referentinnen Alexandra Graevskaia (Universität Duisburg-Essen) und Sabrina Rahimi (Trainerin für Rassismuskritik und Empowerment) in ihren Eingangsvorträgen.
Alexandra Graevskaia stellte anschaulich die Ergebnisse des IAQ-Reports „Institutioneller Rassismus in Behörden – Rassistische Wissensbestände in Polizei, Gesundheitsversorgung und Arbeitsverwaltung“ vor. Sie erläuterte in ihrem Vortrag, wie Rassismus in Behörden auf unterschiedlichen Ebenen wirkt. Gesetzliche Vorgaben, Routinen und Strukturen in Behörden sowie der Rückgriff auf rassistische Wissensbestände sind drei Faktoren, die genannt wurden. Für eine rassismuskritische Organisationsentwicklung im behördlichen Rahmen verweist die Studie auf die Notwendigkeit der Anerkennung von Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis und des Reflektierens der eigenen Rolle darin. Es gilt ferner subtil wirkende Selektionen und Ausschlüsse in Institutionen und Organisationen zu identifizieren und abzubauen. Auf der institutionellen Ebene bedarf es u. a. einer kritischen Hinterfragung von Routinen, der Prüfung von Entscheidungen und Verfahren, Supervision, Etablierung von Beschwerdestellen und Rassismusbeauftragten, Mehrsprachigkeit sowie Diversität als Normalität. Auf der individuellen Ebene dienen u. a. rassismuskritische Fortbildungen, in deren Zentrum das „Identifizieren“ und „Verlernen“ von rassistischen Wissensbeständen und Routinen stehen, als Ansatz für Veränderungen.
Wie Veränderungsprozesse im eigenen (Arbeits-) Umfeld gelingen können und welchen Herausforderungen sich Beteiligte auf dem Weg hin zu einer rassismuskritischen Organisationsentwicklung stellen müssen, erläuterte anschließend die Referentin Sabrina Rahimi. Leitfragen auf dem Weg sind nach Rahimi: „Wie diskriminierungssensibel ist meine Organisation?“, „Wie kommt es, dass die eigene Einrichtung noch nicht hinreichend rassismuskritisch aufgestellt ist?“, „Gibt es Ressourcen für Diversitätsarbeit?“, „Welchen Beitrag kann ich leisten?“, „Wer sind meine Mitstreitenden“, „Wie sind Position besetzt?“ und „Welche Rolle spielt die Leitung bei Veränderungsprozessen?“. Sabrina Rahimi benannte Strategien und Qualitätskriterien für den Prozess und resümiert, dass rassismuskritische Organisationsentwicklung einer kontinuierlichen Auseinandersetzung, Überprüfung und Aktualisierung rassismuskritischer und diversitatssensibler Standards bedarf.
In der Workshop-Phase am Nachmittag tauschten die Teilnehmenden des Fachtages sich zu den Themenfeldern „Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus der Ukraine und aus anderen Herkunftsländern“, „Chancen und Hürden bei der Implementierung einer rassismuskritischen Haltung in kommunalen Strukturen“ und „Blick in meine Praxis: Rassismus- und antisemitismuskritisch arbeiten“ aus. Die Ergebnisse der einzelnen Workshops wurden in der abschließenden Podiumsdiskussion vorgebracht und mit Agnes Heuvelmann, Referatsleiterin im MKJFGFI, erörtert. Dabei wurde dargelegt, dass es für eine rassismuskritische Organisationsentwicklung wichtig sei, die Leitungsebene mit in den Entwicklungs- und Arbeitsprozess einzubinden, damit einzelne Mitarbeitenden der Organisation, die vielleicht sogar selbst von Rassismus betroffen sind, nicht allein für das Thema verantwortlich sind. Mahnend wurde darauf hingedeutet, dass der rassismuskritische Diskurs häufig sehr theoretisch geführt werde und daher die Gefahr bestehe, dass er an der Lebensrealität vieler geflüchteter Menschen vorbei gehe. Daher müsse darauf geachtet werden, auch Geflüchtete selbst in den Entwicklungsprozess mit einzubeziehen. Abschließend wurde appelliert, Geduld für einen rassismuskritischen Organisationsentwicklungsprozess mitzubringen, da er zwar häufig viel Zeit und Ressourcen koste, sich aber immer für eine Organisation lohne.
Das Institut für Kirche und Gesellschaft nimmt die Anregungen des Fachtages sehr ernst und möchte sich nun selbst auf den Weg machen. Dafür wurden rassismuskritische Trainer*innen engagiert, die verschiedene Fortbildungsangebote für das Institut anbieten werden. Ziel dieses Prozesses wird die Reflektion der eigenen Position, der eignen Arbeit und gängiger, etablierter Arbeitsstrukturen sein. Als Bildungsträger sieht das Institut die Notwendigkeit einer rassismuskritischen und diskriminierungssensiblen Veranstaltungsplanung und wird daher an der Umsetzung der Anregungen des Fachtags arbeiten.
Im Folgenden stehen die Vorträge und Studien sowie Präsentationen aus den Workshops zum Download zur Verfügung.
Programm
„Rassismus in Behörden – rassistische Wissensbestände in Polizei, Gesundheitsversorgung und Arbeitsverwaltung“
Vertiefende Informationen zur Einzelstudie „Institutioneller Rassismus in der Polizei“ finden Sie hier.
Vortrag „Rassismuskritische Wege in der eigenen Organisation beschreiten“
WS 1 „Ungleichbehandlung Geflüchteter aus der Ukraine und aus anderen Herkunftsländern“
WS 3 „Chancen und Hürden bei der Implementierung einer Rassismuskritischen Haltung in kommunalen Strukturen“
Programmheft