„Danke, liebe KI, das reicht, ich übernehme jetzt“ – Wenn die KI am Gottesdienst mitwirkt

So geschehen im Januar in der Ev. Universitätskirche Münster. In einem gut gefüllten Kirchenraum feierten die Gottesdienstbesucher*innen einen experimentellen Gottesdienst. Zur Ausstattung gehörten nicht nur Altar, Ambo und Kerzen, sondern auch Beamer, Leinwand und Internet.

Soweit vielleicht noch so normal, immerhin greifen schon viele Gemeinden auf gewisse technische Mittel zurück, um beispielsweise Lieder, besondere Psalmübertragungen oder ähnliches direkt anzubeamen. In diesem Gottesdienst ging es aber nicht um die Ersparnis von Zeit oder Papier, es ging darum, einen Gottesdienst mit Künstlicher Intelligenz zu feiern.

KI und Kirche

Was bedeutet dieses „mit“? Ob eine KI bloßes Hilfsmittel für den*die Pfarrer*in ist oder selbst Akteurin und damit Subjekt eines Gottesdienstes, welche Rolle KI also für Kirche, Prediger*in und Gemeinde spielen kann, war Gegenstand eines Seminars für Studierende der Theologie und weitere Interessierte, das mit diesem Gottesdienst abgeschlossen wurde.

Ausgangspunkt des Seminars „KI und Kirche“, das gemeinsam von Prof. Dr. Arnulf von Scheliha von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und Dr. Friederike Barth und Dr. Stefanie Westermann von der Evangelischen Akademie Villigst durchgeführt wurde, waren einige der Fragen, die durch die neuesten technologischen Entwicklungen aufgeworfen werden.

Auch wenn sich diese sehr dynamisch vollziehen und manches noch kaum absehbar ist, ist deutlich, dass die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz einen gewaltigen Einfluss auf sämtliche Lebensvollzüge von Menschen haben wird und zum Teil sogar schon hat. Darin sind auch die religiösen Lebensvollzüge eingeschlossen: Seelsorge, Gottesdienst(-vorbereitung), Religionsunterricht und Kirchlicher Unterricht, eines Tages auch Verwaltungstätigkeiten und anderes mehr. Kirche ist schon jetzt nicht unberührt von KI und wird es künftiger noch viel weniger sein.

Dahinter liegen aber andere, tiefere Fragen, wie sie sich auch außerhalb von Religion, Spiritualität und kirchlicher Institution stellen. Denn viele der im Zusammenhang mit KI aufkommenden Visionen und Zukunftsphantasien drehen sich um die Frage, was der Mensch eigentlich ist und wie KI – d.h. insbesondere die Allgemeine Künstliche Intelligenz (AGI) – mit ihm ins Verhältnis zu setzen ist, sollte sich eine solche tatsächlich entwickeln lassen. Letzteres ist keineswegs so klar, wie es oft behauptet wird, nicht zuletzt, weil die menschliche Intelligenz weit mehr ist als das Operieren mit rationalen Verhältnissen auf der Basis von an- oder ausgeschalteten Stromkreisen, und seien sie auch noch so komplex miteinander verschaltet zu sog. neuronalen Netzwerken.

Im Seminar wurden darum unterschiedlichste Aspekte des Verhältnisses von Mensch und KI diskutiert und auch damit experimentiert. So ging es auch darum, ob und inwieweit Chatbots in Seelsorge und Therapie eingesetzt werden können und wo hierbei die Grenzen liegen sollten. Trans- und posthumanistische Visionen, wie sie u.a. Yuval Noah Harari oder Ray Kurzweil entwerfen, wurden einer kritischen Debatte unterzogen. Aber ChatGPT wurde auch aufgefordert, einen Abschnitt einer „Heiligen Schrift“ zu verfassen – mit teils ausgesprochen amüsantem Ergebnis.

Nicht nur theoretisch, sondern zugleich von brisanter und bestürzender Aktualität sind zudem KI-gestützte sogenannte Autonome und Teilautonome Waffensysteme. Auch dies war Gegenstand der Reflexion anhand des Leitbegriffs der Verantwortung. Von diesem ethischen Zentralbegriff ausgehend lassen sich letztlich alle Anwendungsfelder von KI ethisch analysieren und Leitlinien für den Umgang mit ihr entwickeln. Das erfordert sehr umfassende Expertisen und gründliche Überlegung und macht auch erhebliche Mühen.

Auf dem das Seminar abschließenden Wochenende wurde es noch einmal sehr konkret. Mit dem Fundament der breiten Beschäftigung mit KI und ihren gesellschaftlichen, ethischen, theologischen und seelsorglichen Herausforderungen machten sich die Teilnehmer*innen nun daran, einen KI-Gottesdienst zu gestalten.

Das Proprium des Sonntags und die tradierte, in ihrem Ursprung ja ganz alte, vorreformatorische Liturgie nun auch mittels KI-Tools umzusetzen, die angemessenen Grenzen zu ziehen und ganz nebenbei auch Funktion und Rolle des Kirchlichen Predigtamtes zu reflektieren, war herausfordernd und bereichernd und hat zudem sehr großen Spaß gemacht.

Der Gottesdienst, der am Ende stand und in der Evangelischen Universitätskirche mit Studierenden, Lehrenden und Interessierten aus der Münsteraner Stadtgesellschaft gefeiert wurde, war spannend und experimentell und zugleich ein richtiger Gottesdienst. Es war „gar nicht so wild“, wie es eine Teilnehmerin noch während der Vorbereitung befürchtete. Vielmehr rund und inhaltlich bedeutsam, dabei aber auch kurzweilig und voller überraschender Momente.

Die Teilnehmer*innen des Seminars haben deutliche Grenzen für „die KI“ gezogen. Sie ist zwar teils quasi als Akteurin aufgetreten ist – bei der Begrüßung, bei der Erklärung der KI-generierten Psalmübertragung oder KI-generierten Gebetselementen und Liedstrophen. Aber sie ist eben doch auf einer ganz anderen Ebene wirksam als der Mensch, der allein Subjekt, Person und als solche fähig zur Gottesbeziehung ist. Gerade das war auch ein Anliegen des Gottesdienstes: von Röm 12, 1-8 aus die menschlichen Gaben und die Würde des Menschen, die Gott ihm gibt, gut und klar zu unterscheiden von den Möglichkeiten der Maschine. Und die KI dabei dennoch nicht zu verteufeln, sondern sie als nützliches Werkzeug, Impulsgeber und Produkt menschlicher Erfindungsgabe und Schaffenskraft anzusehen. Die Predigt, die als „Dialog“ zwischen Predigerin und ChatGPT gestaltet war inklusive Computerstimme und mitlesbarem Text auf der Leinwand, hat dies in der Auslegung ebenso deutlich gemacht wie in der Inszenierung. Dabei wurden interessante Akzente auf der Leibgebundenheit des Menschen und den darin wieder ganz anders gesetzten Grenzen und vielfältigen Möglichkeiten des Weltumgangs gelegt.

Auch unterhaltsame und partizipatorische Elemente konnten KI und digitale Technik beisteuern. So gab es ein von der KI „komponiertes“ Gloria patri nach dem Psalm, das mit ein wenig an Mozart erinnernden Streicherklängen und einer KI-generierten Singstimme doch sehr ungewöhnlich war.

Den Segen gab es in diesem Gottesdienst nicht von der Liturgin, sondern mittels QR-Code, über die ein mit Zufallsgenerator ausgewähltes Segenswort abgespielt werden konnte, von dem bzw. der jeweiligen Sitznachbar*in.

Ein Fazit dieses spannenden und speziellen Gottesdienstes mag dabei überraschen: Ausgerechnet der Einsatz von maschineller, Künstlicher Intelligenz hat die Kreativität der Menschen in besonderer Weise freigesetzt. Auch dieses Potential hat KI – es für Kirche und Gesellschaft zu nutzen in den notwendigen und sinnvollen Grenzen dürfte eine wichtige Zukunftsaufgabe werden.

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Dr. Friederike Barth, Evangelische Akademie Villigst

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