Mutig, stark, beherzt – unter diesem Motto fand der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover statt. Das bunte Glaubensfest in der niedersächsischen Landeshauptstand konnte über 100.000 Menschen begeistern. An Ständen, in Workshops, Barcamps, auf Podien und einem Feierabendmahl wirkten auch viele IKG-Mitarbeitende mit.
Workshop zum Thema Suizidalität von Männern
Zusammen mit dem Vorsitzenden des Bundesforum Männer, Thomas Altgeld, leitete Landesmännerpfarrer Martin Treichel einen Workshop zum hochsensiblen Thema „Wenn Männlichkeitsmuster töten – Zur Suizidalität von Männern“. Aus Platzgründen konnten an diesem Angebot nur 20 Personen teilnehmen. Sie waren dankbar, im Rahmen des Kirchentags über dieses schwierige Thema miteinander ins Gespräch zu kommen. In seinem Impuls erläuterte Altgeld, dass Suizid zwar einerseits eine persönliche Entscheidung sei, andererseits aber viel zu tun habe mit gesellschaftlichen Mustern, in denen Schwäche und Scheitern für Männer nicht vorgesehen sei.
Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Projektleitung „Regenbogen und Geschlechterwelten“ leitete Martin Treichel auch das Barcamp „Die Lücke in der Geschlechtergerechtigkeit“. Kirchentagsbesucher*innen konnten bei diesem mehrstündigen Format über die verschiedenen Gendergaps etwa in den Bereichen Lohnzahlung, Care-Arbeit, medizinische Forschung und Lebenserwartung diskutieren. Die Referenten des Fachbereichs „Frauen, Männer, Vielfalt“ waren außerdem in den Stand der „Männer in der EKD“ auf dem Markt der Möglichkeiten sowie in das Feierabendmahl (nicht nur) für Männer eingebunden.
Die Altenarbeit – ein Feld kirchlichen Handelns mit Zukunft
Ebenfalls auf dem Markt der Möglichkeiten war die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit (EAfA) mit einem lebendigen und gut besuchten Stand vertreten. Dabei: IKG-Referent Marcel Temme. Das Interesse an Informationen und Impulsen zur Altenarbeit war überraschend groß – ein starkes Zeichen dafür, wie sehr das Thema „Sorgende Gemeinde werden“ und die Arbeit mit älteren Menschen viele Kirchentagsbesucher*innen bewegte.
Zahlreiche gute Gespräche mit Interessierten aus den Landeskirchen zeigten: Die Altenarbeit ist ein relevantes Feld kirchlichen Handelns mit Zukunft. Besonders erfreulich war, dass der Stand Menschen aller Altersgruppen ansprach. Ein besonderer Anziehungspunkt war das EAfA-Memoryspiel: Die originelle Kombination aus alten und neuen Bildmotiven fand großen Anklang – so sehr, dass viele Besucher*innen nachfragten, ob das Spiel im Nachgang zum Kirchentag erhältlich sei. Die EAfA nimmt diesen Wunsch gerne auf – als Zeichen dafür, dass das Thema Generationenverbindung lebendig, kreativ und anschlussfähig ist.
Podium behandelt machtsensible Theologie
Dr. Alena Höfer übernahm die Moderation des theologischen Podiums „Gewaltraum Kirche. Gott ohne Macht denken“ mit rund 150 Teilnehmer*innen. Mit den Gäst*innen Julia Schönbeck, Bich Nhi Rentzsch, Landesbischöfin Prof. Dr. Heike Springhart, Matthias Schwarz und Lukas Johrendt sprach sie in dem Dreischritt Wahrnehmen – Selbstkritik – Transformation darüber, welche Glaubensaussagen Gewalt und Machtmissbrauch fördern und wie eine machtsensible Theologie aussehen kann. Im Fokus stand unter anderem die Erkenntnis, dass die Macht Gottes verdreht werden kann, um Menschen ohne Macht zum Schweigen zu bringen. Demgegenüber steht, dass der verwundete, gekreuzigte Gott eine Macht entfaltet, die der Ohnmacht trotzt und von dem wir auch heute noch Gerechtigkeit erwarten dürfen.
Gemeinsam Anders: Ein Buch für eine vielfältige und gerechte Zukunft wird vorgestellt
Zeit für einen book launch: „Gemeinsam Anders. Für eine vielfältige und gerechte Zukunft“ ist der Titel des Sammelbandes, der vor kurzem erschienen ist und auf dem Kirchentag vorgestellt wurde. Sarah Vecera und 16 Co-Autor*innen zeichnen dafür verantwortlich. IKG-Referentin Dr. Alena Höfer hat darin einen Beitrag über Antiasiatischen Rassismus verfasst. Fast alle Autor*innen erzählten unter der Moderation von Thea Hummel vor rund 150 Personen von ihren Beiträgen und signierten im Anschluss Bücher. Das Besondere an der Vielzahl der Perspektiven ist die Wahrnehmung, dass jede Geschichte wertvoll ist und erzählt werden muss. Aus einer jeden sprechen in gleicher Weise schmerzhafte, exkludierende Erfahrungen mit Kirche und Hoffnungsperspektiven auf die Möglichkeit der Veränderung. Das Buch ist im bene! Verlag erhältlich.
Schwerpunkt „Boden“ am Stand der Umweltbeauftragten
Die Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragen der Gliedkirchen der EKD, kurz AGU, war in diesem Jahr mit einem eigenen Stand beim Markt der Möglichkeiten vertreten. Vorbereitet und konzipiert wurde der Stand unter anderem durch Jannik Bräutigam, der auch mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kam. Der Schwerpunkt: Boden. In aufgebauten Fühlkisten war es möglich, verschiedene Bodenbestandteile wie Sand, Schluff, Kies oder Torf haptisch zu analysieren und mittels dreier Bodenprofile zu erkennen, wie aus dem gleichen Ausgangsmaterial unter verschiedenen Gegebenheiten unterschiedliche Bodentypen entstehen.
Anhand des Aufhänger-Themas Boden sollte den Besucher*innen die Abhängigkeit des Menschen von den natürlichen Ressourcen und die Notwendigkeit des Schutzes dieser bewusst gemacht werden. Dazu gab es eine Umfrage, in der von Verbrauchern einerseits abgefragt wurde, wieweit die Kirche als Landeigentümerin in der Verpflichtung steht, die Wirtschaftsweise und damit Biodiversität, Ökologie und Nachhaltigkeit auf den eigenen Flächen zu beeinflussen. Den Landwirten galt die Frage, ob und in welchem Umfang solche Maßnahmen auf Kirchenland für sie denkbar sind.
Workshops zum Thema Sexualität
Das Institut für Kirche und Gesellschaft hat beim Kirchentag zwei Workshops zum Thema Sexualität angeboten. Referentinnen für die Frauen*gruppe waren Annette Noll, Systemische Psychologische Coach, Hamburg, und Nicole Richter, IKG-Fachbereichsleiterin Frauen Männer Vielfalt. Inhaltlich ging es um die eigene Sprachfähigkeit, vermittelte Glaubenssätze sowie um die spirituelle Bedeutung von Sexualität als Geschenk Gottes*. In einer Meditation haben sich die Frauen* ihren eigenen erotischen Raum erschaffen.
Der Männer*Workshop wurde geleitet von Thomas Wunsch, Vorstand Homosexuelle und Kirche (HuK), und Jörg Wetjen von der Männerarbeit Westfalen im IKG. Im Fokus stand der Austausch über Lebens- und Liebesentwürfe und wie männliche* Sexualität gelebt wird.
Es wurde deutlich, dass es Not tut, weitere Räume für Gespräche über Sexualität zu eröffnen und Begegnungen unter Männern*zu ermöglichen.
Yogaübungen und spirituelle Poesie
„Ermutigung zum So sein“, unter diesem Titel haben der bekannte Theologe und Autor Pierre Stutz und Nicole Richter eine Veranstaltung im Zentrum Regenbogen und Geschlechterwelten in Hannover angeboten. Im Fokus stand ein Wechselspiel zwischen Lebenserkenntnissen von Pierre Stutz, Yogaübungen und spiritueller Poesie von Nicole Richter. Inhaltlich ging es um die Ermutigung zur radikalen Selbstliebe und um die Wertschätzung der bedeutenden göttlichen Kraft: unsere Sexualität. Das Interesse war groß, jeder Platz war besetzt.
Für einen kleinen Einblick hier ein Gedicht von Nicole Richter:
Gott*, die Liebe,
in dir erfahren
heißt
dich in Liebe zu erkennen
dich zu lieben in die Liebe: Gott*,
durch Gott*, die Liebe.
Auf 81 Wegen durch die Bibel – Zentrum Glaubenswelten
Gemeinsam mit Studierenden der EvH Bochum und des Martineums Witten, der Unis Paderborn und Bielefeld und der Deutschen Bibelgesellschaft Stuttgart haben mehrere hundert Menschen am Donnerstag in einer Halle des Messezentrums ein neues Format gemeinsamer Bibellektüre erprobt.
Bibelleser*innen und Neugierige konnten sich in einer Kombination von neun thematischen Pfaden (u.a. Tiere in der Bibel, Let’s talk about sex, skurrile Geschichten der Bibel, Schöpfung, jüdisch-christliche Dialogtexte) durch die Welten der Bibel bewegen. Die Besucher*innen wechselten frei zwischen Mitmachstationen, Expert*innengesprächen und Lektüregruppen und begingen und besprachen dabei jeweils neun Kerntexte der Bibel aus neun wesentlichen Textbereichen (u.a. Prophet*innen, Torah, Weisheit, Psalmen) des Ersten und des Neuen Testamentes, tauschten Gedanken und Bilder, Fragen und Erfahrungen mit bekannten und unbekannten Bibeltexten. Die Gesprächsrunden wurden unter anderem von Dr. Nathalie Eleyth (Ruhr-Uni Bochum), Prof. Dr. Florian Wilk (Uni Göttingen), Prof. Dr. Alexander Deeg (Uni Leipzig), Alexa Wilke (CVJM-Hochschule Kassel) und Dr. Jan-Dirk Döhling (Institut für Kirche und Gesellschaft, Villigst) geleitet.
Das Leben feiern – mit allen Sinnen
Das Stadtkloster in Hannover duftet nach Lavendel, türkise Yogamatten liegen im Kirchraum, ein Redepult, zwei Yogalehrerinnen und 100 Neugierige, die wissen möchten, wie man einen Gottes*dienst mit Yogaelementen feiert. Alle haben sich zwei Stunden Zeit genommen, strömen pünktlich und achtsam in die Kirche. Das Leben feiern mit allen Sinnen – ein meditativer Gottes*dienst, gefüllt mit Musik, geschlechtersensibler Theologie, Gesang, Atemmeditationen, Yogaübungen und gemeinsamen Austausch, dem „Bibel teilen“. Am Ende gibt es viel positive Rückmeldung und entspannte, glückliche Gesichter. „So kann Kirche auch sein!“, sagt ein Mann im Rausgehen anerkennend zu den Veranstalter*innen Pierre Stutz, Pia Wick und Nicole Richter.
Ehrenamt – das ist die Krönung
Das Kompetenzzentrum Ehrenamt stellte seinen Stand auf dem Kirchentag unter das Motto „Ehrenamt – das ist die Krönung“. Hier kam IKG-Referentin Simone Osterhaus mit zahlreichen Engagierten ins Gespräch. Es wurde miteinander gelacht, diskutiert und ganz praktische Zeichen der Anerkennung gesetzt. Wer wollte, durfte sich symbolisch eine Krone aufsetzen lassen und Fotos machen – ein Zeichen dafür, wie bedeutsam freiwilliges Engagement Kirche und Gesellschaft ist.
Viele intensive Gespräche, ehrliche Rückmeldungen und kleine persönliche Geschichten haben diesen Ort zu einem echten Treffpunkt gemacht – für Menschen, die Kirche mit Herz und Hingabe mitgestalten.