Interview mit
Dr. Friederike Barth

Seit Oktober diesen Jahres ist Dr. Friederike Barth als Studienleiterin für theologische und gesellschaftliche Grundfragen der Evangelischen Akademie Villigst am Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG) tätig.

Michael Moser, wiss. Referent für gesellschaftspolitische Jugendbildung am IKG, stellte ihr einige Fragen zu ihrer Person und zu ihrem Wechsel in die evangelische Akademie Villigst:

 

Michael Moser: Frau Dr. Barth, Sie sind nun seit gut einem Monat als Studienleiterin für theologische und gesellschaftliche Grundfragen der Ev. Akademie Villigst hier am Institut für Kirche und Gesellschaft. Erzählen Sie uns doch bitte von Ihrem Einstieg und Ihren ersten Eindrücken. Was sind und waren die ersten Schritte in Ihrem neuen Arbeitsfeld?

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Dr. Friederike Barth: Ich bin sehr offen und herzlich von dem Team des IKG empfangen worden, das war ein besonders schöner Einstieg, der mir den Wechsel leicht gemacht hat. Die freundliche Atmosphäre hier habe ich schon in den ersten vier Wochen zu schätzen gelernt.
Die ersten Schritte mache ich auf vielen verschiedenen Wegen. Ich erkunde, was bisher in meinem Arbeitsbereich stattgefunden hat, ich beschäftige mich den Projekten, die nun bald anstehen, ich sammle Ideen und recherchiere zu möglichen neuen Tagungsthemen und Projektfeldern.
Natürlich gehört auch dazu, das Institut, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen zu lernen und mich mit den Strukturen vor Ort vertraut zu machen – und den neuen Wegen auf diesem schönen, großen Gelände.

Michael Moser: Bisher waren Sie sowohl in einer Gemeinde als auch in der Wissenschaft tätig. Vielleicht schildern Sie uns kurz Ihren Werdegang und Ihre Arbeitsschwerpunkte. Sicherlich gab es dabei auch ein paar Herzensangelegenheiten.

Dr. Friederike Barth: In den vergangenen 9 Jahren war ich als Pfarrerin in einer Gemeinde im Münsteraner Westen tätig und habe dort die Aufgaben wahrgenommen, die für das Gemeindepfarramt typisch und wesentlich sind: Gottesdienste aller Art, Kirchlicher Unterricht, pädagogische Arbeit mit Kindern und Kleinkindern, mit Erwachsenen, Taufen, Trauungen, Beerdigungen, seelsorgliche Begleitung, aber natürlich auch Verwaltungstätigkeiten. Prägend war in dieser Zeit sicherlich das, was mir immer besonders am Herzen gelegen hat: dass man mit so vielen unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen zu tun hat. Das war eine Arbeit mitten im Leben.
Zusätzlich habe ich noch ein Jahr in der Krankenhausseelsorge gearbeitet, mit einem Schwerpunkt auf der Palliativstation. Diese komplett andere Arbeit war sehr intensiv, da sie sich buchstäblich an den Grenzen des Lebens vollzieht, dabei aber in ein interprofessionelles medizinisches Team eingebunden ist. Ich habe diese Zeit als sehr bereichernd empfunden.
Bevor ich in den kirchlichen Dienst gegangen bin, habe ich 5 Jahre als Wissenschaftlerin am Institut für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften der Universität Münster gearbeitet. Dort gehörten Forschung und Lehre zu meinen Aufgaben, d.h. Seminarveranstaltungen, Mitarbeit in Institutsangelegenheiten sowie die Arbeit an meiner Dissertation über Dietrich Bonhoeffers Ethik.

Michael Moser: Liegt in dieser praktischen, aber eben auch theoretischen Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen auch der Grund für Ihren Wechsel in die evangelische Akademiearbeit?

Dr. Friederike Barth: Ich denke, für mich waren immer beide Sphären wesentlich: die praktische, der direkte Kontakt mit Menschen, das Teilnehmen am ganzen Leben, aber auch die theoretische: die Reflexion, die systematische Auseinandersetzung mit Fragen der Zeit und das Interesse an gedanklichem und fachlichem Austausch.
Für mich war es nun an der Zeit, nach Jahren praktischer Tätigkeit wieder in ein anderes Feld zu wechseln, in dem ich den Blick auf die Gesellschaft, unser gemeinsames Leben auch außerhalb der kirchlichen Mauern, noch einmal neu und anders fokussieren kann, in dem die thematische Auseinandersetzung und die ethische Reflexion verbunden sind mit dem Diskurs mit Menschen aus anderen fachlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Wichtig ist mir dabei auch, dass die Akademiearbeit die Möglichkeit bietet, in die Gesellschaft hinein zu wirken.

Michael Moser: Auf den letzten Aspekt würde ich gerne genauer eingehen. Was sind Ihrer Ansicht nach die wesentlichen Aufgaben der evangelischen Akademien? In welchen Bereichen und wie kann und sollte ein Diskursort wie die evangelische Akademie Villigst gesellschaftspolitisch wirken? Oder provokant gefragt: Wozu braucht es noch evangelische Akademien?

Dr. Friederike Barth: Gerade heute sind Einrichtungen wie die Evangelische Akademie Villigst aus meiner Sicht unverzichtbar. Sie ist idealerweise ein Raum des freien, geistigen Austausches von Menschen, die sich unabhängig von Religion, Weltanschauung und sozialem Stand begegnen und miteinander im Wechsel und Streit der Argumente um die richtigen und gangbaren Wege in ein gerechtes, friedliches und zukunftsfähiges gemeinsames Leben ringen. Gerade diese Art der vernünftigen Kommunikation im Dienste eines gelingenden Lebens für alle gründet in dem, was auch die Kirche selbst gründet: Wenn Menschen sich im Gespräch frei begegnen, wenn sie versuchen, einander zu verstehen, wenn sie konstruktive Kritik äußern und miteinander Strategien erarbeiten für ein besseres Leben, dann spiegelt dies die Glaubenserfahrung, dass jeder Mensch zur Freiheit und zum Selbstsein in Beziehung berufen ist, nach außen in die politischen und kommunikativen Strukturen menschlichen Zusammenlebens und -wirkens.
Zugleich wissen Christinnen und Christen sich durch das Evangelium berufen, an einer besseren Lebenswirklichkeit mitzuarbeiten. Die Botschaft von Gottes Heil ist universal, sie richtet sich an alle Menschen und fordert daher auch dazu auf, an allen Orten und auf alle Weisen diese Aufgabe der Weltgestaltung wahrzunehmen. Dafür ist es unverzichtbar, dass gemeinsam mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft nach Lösungen gesucht wird. Hier kann man von Dietrich Bonhoeffer lernen, der schon lange vor der Verwurzelung unserer evangelischen Kirche in der modernen, pluralistischen Demokratie die Erfahrung gemacht hat, dass die Gestaltung des Gemeinwesens nur eine gemeinschaftliche Aufgabe von Kirche und Gesellschaft sein kann. Das impliziert, dass die Expertisen anderer Fachleute von größter Bedeutung sind, so wie umgekehrt die Vision einer besseren Welt, ein biblisch fundiertes Menschenbild und die Sorge für die Schwachen für den Diskurs und die Wege in die Zukunft unverzichtbar sind.

Michael Moser: Inwiefern würden Sie sagen, dass diese Überzeugungen für Sie selbst handlungsleitend sind und Ihre persönliche Lebensgestaltung prägen?

Dr. Friederike Barth: Nun, ich würde sagen, dass ich versuche, diese Überzeugungen, in meinem Leben umzusetzen, mit all den Schwächen und Einschränkungen, die ja mich genauso ausmachen, wie das bei anderen Menschen der Fall ist. Wenn zur Grundlage evangelischer Akademiearbeit die Einsicht gehört, dass wir alle gemeinsam berufen sind, richtige Wege in eine gute Zukunft zu finden, ohne dass den kirchlichen Akteuren per se mehr Erkenntnis zuteil ist als allen anderen, so gilt das genauso im Praktischen für Pfarrerinnen und Pfarrer: ich bin nicht qua Amt ein besserer Mensch. Doch ich weiß mich zur Verantwortung gerufen und sehe darin auch nicht nur die Bürde, was ich alles tun muss, um an dem Guten mitzuwirken, sondern auch die Freiheit und die Auszeichnung, die es bedeutet, dass die Gestaltung unseres Lebens und unserer Welt in unsere Hände gelegt ist, dass wir handeln dürfen und Gott uns dies auch zutraut.
Dass das manchmal auch herausfordernd sein kann – keine Frage. Davon können meine Kinder auch gelegentlich ein Lied singen, wenn die Mutter wieder stundenlang im Supermarkt die Zutatenlisten studiert, um Palmöl zu vermeiden...

Michael Moser: Bei Palmöl muss ich ja sofort an Schokolade denken. Womit belohnen Sie sich?
Wobei gelingt es Ihnen am besten, den Kopf frei zu bekommen?

Dr. Friederike Barth: Ja, da bin ich auch wieder ganz nah bei Bonhoeffer, der das volle („diesseitige“, wie er das nannte) Leben sehr zu schätzen gewusst hat: das Leben darf und soll Freude machen - trotz allem. Über Schokolade können wir jederzeit reden, es gibt ja wunderbare Fairtrade-Sorten, die in unserem Haushalt gerne ausprobiert werden.
Gerade wenn man beruflich viel mit den Grenzen und Grenzfragen des Lebens zu tun hat, ist es nicht nur für den Ausgleich wichtig, auch das Schöne zu schätzen, sondern einfach der andere wichtige Teil des Lebens. Ich bin ein Naturmensch, gerne draußen im Grünen, was in unserem Wohnort, einem Dorf am südlichsten Rand von Münster, auch ganz wunderbar möglich ist – selbstverständlich auch viel mit dem Fahrrad, das Klischee über Münster stimmt hier voll und ganz.
Natur, aber auch Musik und Menschen, die mir wichtig sind – das brauche ich immer. Wenn Zeit ist, koche ich auch gerne, das ist sehr hilfreich, um den Kopf frei zu bekommen, zumal es mir Spaß macht, dabei Dinge auszuprobieren.
Ansonsten verreise ich gerne, am liebsten dorthin, wo ich noch nicht war. Neues entdecken macht mir Spaß, und von woanders aus sieht ja auch bekanntlich das Vertraute anders aus und lässt einen wieder neue Erfahrungen machen.

Michael Moser: Vielen Dank für das Gespräch!

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friederike.barth@kircheundgesellschaft.de
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