Bielefeld/Westfalen.- Zur aktuellen Situation im nordrhein-westfälischen Lützerath äußert sich die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen Annette Kurschus in nachstehender Weise:
„Unsere Gesellschaft braucht am Beginn des Jahres 2023 keine Kraftakte, keine neuen Konfrontationen und Kampfszenen, sie braucht vielmehr eine Denk- und Gesprächspause darüber, wie wir den brüchigen sozialen Frieden in unserem Land, das angefochtene Vertrauen in die Politik und den so dringend nötigen Frieden mit der Schöpfung fördern können.
Die aktuell drohende Räumung von Lützerath macht auf bedrückende Weise klar, wie weit wir davon entfernt sind.
Längst sind Kohleförderung und -verstromung als falscher und ökologisch selbstmörderischer Umgang mit der Schöpfung und der Zukunft kommender Generationen erkannt worden. Das bringt immer mehr Menschen zur Verzweiflung, raubt auch geduldigen und nüchternen Menschen den Schlaf. Die Tagebaue im rheinischen Revier sind hierfür zum Symbol geworden, nicht zuletzt tragen sie auch effektiv zur globalen Erwärmung bei.
Deshalb ist es richtig, dass Kohleverstromung und -abbau – auch mit Zustimmung und Kooperation von RWE – 2030 an ihr Ende kommen. Und wir wissen, dass wir noch mehr tun müssen.
Vor diesem Wissen erscheint die Erweiterung von Förderstätten, die mit neuer Naturzerstörung einhergeht, als absurd. Ich kann verstehen, dass sich sehr viele Menschen damit nicht abfinden wollen. Und ich habe Respekt vor allen, die friedlich von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen und sich für einen ambitionierten Klimaschutz in NRW engagieren.
Richtig ist aber auch, dass der Staat die Aufgabe hat, bestehende Rechte durchzusetzen, zumal, wenn sie gegen Einspruch gerichtlich bestätigt wurden. Das ist ein unaufgebbarer Grundsatz unseres demokratischen Rechtsstaates, den es zu achten gilt.
Deshalb habe ich den gleichen Respekt vor Polizist:innen und Behördenmitarbeitenden, die für diesen Grundsatz einstehen – unabhängig davon, wie sie selbst in dieser Sache denken und entscheiden würden. Und ich fordere dazu auf, diesen Respekt auch im Protest gegen die Räumung zu wahren und zu zeigen.
Lützerath ist der Ort, an dem in diesen Tagen gesellschaftliche Interessen- und Zielkonflikte hart aufeinanderprallen. Es sind Menschen, die in diesem Konflikt handeln und die entscheiden können. Ich appelliere an sie alle, dass es nicht zu Gefahr für Leib und Leben kommt. Wir brauchen zur Abwendung der ökologischen Katastrophe und zur Bewältigung der großen gegenwärtigen Krisen unbedingt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer heute handelt, muss bedenken, dass wir morgen und in Zukunft auf beides dringend angewiesen sind: auf Menschen, die sich unermüdlich für den Klimaschutz engagieren, und auf ein Recht, das verlässlich und durchsetzbar ist. Was wir nicht brauchen, sind Szenen und Bilder von Gewalt und Zerstörung, die nur eines bewirken: Verzweiflung und Abwendung von der Demokratie.
Wir als evangelische Kirche im Energie- und Industrieland NRW erklären uns bereit, als Partnerin und Mitgestalterin am notwendigen ökologischen Umbau mitzuwirken.“
10. Januar 2023