Fangen wir nochmal von vorne an: Ein kurzer Blick zurück

Wie eine demokratische Gesellschaft aufbauen?
Wie über strittige Themen ins Gespräch kommen?

Das waren von Anfang an zentrale Fragen. Die Idee, Orte zu schaffen für den Diskurs über gesellschaftspolitische und theologische Themen führt kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus zur Gründung Evangelischer Akademien in verschiedenen Landeskirchen.

 

  • In den ersten Jahren in Form von offenen Gesprächskreisen gründet sich 1950 die Evangelische Akademie Rheinland-Westfalen – wenn auch nicht offiziell:

     „Meine Frage an die Leitung in Bielefeld, ob nicht ein feierlicher Anfang gemacht werden könne, wurde stets mit der Bitte: ‚Noch abwarten!‘ beantwortet. So ist die Ev. Akademie niemals offiziell eröffnet worden.“

    Pfarrer W. Becker, damaliger Akademieleiter, zitiert aus: Forum Haus Ortlohn Freundebrief (Hrsg.): 20 Jahre Evangelische Akademie, 3.u.4. Quartal 1970, Jahrg. 1, Nr. 62-63, S. 15

    „Immer wieder hat dieser Name in späteren Jahren Aufmerksamkeit und erstaunte Fragen hervorgerufen. Erst 1983 wurde er im gegenseitigen Einvernehmen zugunsten des jetzigen Namens aufgegeben.“

    Walter Schmidt, Dabei und Mittendrin – Ein Blick in die Geschichte der Evangelischen Akademie von Westfalen, Materialien für den Dienst in der Evangelischen Kirche von Westfalen: 40 Jahre Evangelische Akademie Iserlohn. Rückblick – Ansichten – Vorschau, Bielefeld 1990, S. 11
  • Sitz der Akademie ist zunächst das Wasserschloss Hemer. Aber Veranstaltungen finden, unter hohem persönlichem Einsatz des Leiters, an vielen verschiedenen Orten statt.

    „Die Akademiearbeit vollzog sich in den ersten Jahren als Wanderakademie. Tagungen hielten wir ab in Bielefeld, Friedewald, Villigst, Haus Friede bei Hattingen, Handorf bei Münster, Hasensprungmühle bei Düsseldorf, Hilchenbach und anderswo. […] So war ich einige Jahre auf den Landstraßen von Rheinland-Westfalen und erlitt mehrere Unfälle.“

    Ebd., S. 16
1024px-Haus_Hemer_2_-_panoramio_©Andreas Hörstemeier.jpg

Haus Hemer

  • Seit Mitte der 1950er Jahre wird es dann Haus Ortlohn in Iserlohn, eine Fabrikantenvilla mit weitläufigem Park. Hier wächst die Akademie stetig. Das Themenfeld reicht von Vertriebenenfragen über ökumenische und soziale Themen bis zur medizinischen Ethik.

    „Ich wüsste keine bessere Institution zu nennen als die Evangelische Akademie, in der jeder Fakultät und Disziplin Gelegenheit gegeben wird, das ihre zu sagen, aber auch den Kontext zu wagen, damit Lösungen formuliert werden, die das Leben des Einzelnen wie der Gemeinschaft zum Frieden hin ermöglicht.“
    […] Eine Sorge und Bitte: Wir dürfen nicht zu Knechten der Statistik werden. […] Wir haben die Sache zu verantworten und nicht die Zahl.“

    Wilhelm Giesen, Arbeitsgemeinschaft „Arzt und Seelsorger“, zitiert aus: Forum Haus Ortlohn Freundebrief (Hrsg.): 20 Jahre Evangelische Akademie, 3.u.4. Quartal 1970, Jahrg. 1, Nr. 62-63, S. 30
Postkarte Akademie Villigst_Haus Ortlohn Frühstücksraum Vorderseite
Postkarte Akademie Villigst_Haus Ortlohn Frühstücksraum Rückseite
Postkarte Akademie Villigst_Haus Ortlohn Vorderseite
Postkarte Akademie Villigst_Haus Ortlohn Rückseite
  • Von Beginn an haben viele Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen das Gelingen von Veranstaltungen und den „Geist“ der Akademie ermöglicht. Und dabei Einiges erlebt:


    „Zum Schluss möchte ich aus dem ‚Nähkästchen einer Hausmutter‘ eine kleine Begebenheit erzählen, die in ihrer Komik unübertroffen ist: Eine Tagung für ‚Alte Künstler‘ ging zu Ende. Es gab als Abschlussmahlzeit eine gute Samstags-Erbsensuppe mit viel Porree. Einer der Gäste hielt eine Dankesrede und hatte dabei ein Stückchen Porree am Kinn hängen, das lustig auf und ab wippte. Am Schluss seiner Rede verabschiedete er sich von mir mit einem Handkuss, und das Stückchen Porree wechselte auf meinen Handrücken über. Ehe ich es diskret entfernen konnte, stand ein alter Kammersänger auf, bedankte sich feurig ebenfalls mit einem Handkuss, und siehe da – das Stückchen Porree war fort.“

    A. M. Tzschachmann, zitiert aus: Forum Haus Ortlohn Freundebrief (Hrsg.): 20 Jahre Evangelische Akademie, 3.u.4. Quartal 1970, Jahrg. 1, Nr. 62-63, S. 44

     

    „Am Ende meiner Tätigkeit möchte ich rückblickend sagen, dass alle Arbeit im Hause der Ev. Akademie ein Wagnis, ja sogar manchmal ein Abenteuer war. […] Meine Bitte an die jetzigen und die kommenden Mitarbeiter einerseits, an die Gäste andererseits, ist die, dass sie diesem Wagnis und diesem Abenteuer ‚Ev. Akademie‘ nicht ausweichen möchten.“

    Ebd., S. 45
  • Seit Ende der 1960er Jahre erfolgen Aus- und Umbauten der Tagungsstätte, die Akademie bekommt das Nagelkreuz von Coventry und gehört nun zum Kreis der Internationalen Versöhnungszentren. Anfang der 1980er Jahre gibt es noch einen neuen Namen: „Evangelische Akademie Iserlohn“.
  • Zum 40. Geburtstag gratuliert der damalige Präses D. Hans-Martin Linnemann:

    „Ohne Vorschau, ohne Träume und Visionen bewegt sich nichts. Für die Evangelische Akademie ist das Voraus- und Querdenken unverzichtbar. Sie bewegt sich zwischen Kirche und Gesellschaft und ist zuweilen unbequem nach beiden Seiten.“

    Materialien für den Dienst in der Evangelischen Kirche von Westfalen: 40 Jahre Evangelische Akademie Iserlohn. Rückblick – Ansichten – Vorschau, Bielefeld 1990, S. 5
  • Ende der 1990er Jahre fällt der Entschluss der Landeskirche, das Institut für Kirche und Gesellschaft zu gründen, zu der auch die Akademie gehören soll. 2007 erfolgt der gemeinsame Umzug von Iserlohn nach Villigst. Haus Villigst wird zur neuen Tagungsstätte, die Akademie bleibt die Akademie, nun im Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG).
Haus Villigst_©Jörg Schäfer

Haus Villigst

  • In all den Jahren fand eine große Vielfalt von Veranstaltungen mit prominenten und weniger prominenten Gästen aus dem In- und Ausland statt.

    Eine kleine Themenauswahl:

Zum Vergrößern bitte jeweils auf die Bilder klicken.

  • Die eingangs genannten Fragen nach der Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft und den Möglichkeiten des Dialogs über strittige Themen haben, auch wenn sich einzelne thematische Schwerpunkte im Laufe der Jahrzehnte verändert haben, bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren.
    Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages a. D., formulierte es 2023 so:

    „Demokratie braucht Demokraten – und sie braucht gesellschaftliche Institutionen, die diese Einsicht immer wieder neu vermitteln. Die Evangelische Akademie Villigst gehört dazu.“