Vielleicht sagt schon die Tatsache, dass es keinen wirklich guten deutschen Begriff für das Phänomen gibt, viel. Die Haltung, die dem Phänomen des „Whistlebowings“ lange Zeit vor allem auch in Deutschland entgegengebracht wurde und teils immer noch wird, war und ist oftmals eine kritische. Was hierzulande lange Zeit als „Verrat“ oder „Nestbeschmutzung“ galt – man denke nur an die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit –, ist spätestens seit Edward Snowdens Berichten über das Vorgehen der NSA breit diskutiertes Thema: das Melden von Missständen oder Fehlverhalten in Unternehmen, Institutionen oder Behörden. Für diejenigen, die solches, beispielsweise Unterschlagung oder ungenügende Pflegezustände, intern oder nach außen transparent machen, ist dies oft mit einem persönlichen Risiko verbunden. Sie müssen berufliche Nachteile, finanzielle Einbußen, soziale Ächtung ebenso befürchten wie Auswirkungen auf das eigene Umfeld.
Dabei hat die Gesellschaft ein hohes Interesse daran, dass es Menschen gibt, die solche Missstände nicht unterstützen oder stillschweigend mittragen, sondern um Abhilfe bemüht sind. So sind beispielsweise in vielen naturwissenschaftlich-technischen Bereichen die Vorgänge derart komplex, dass oft Spezialwissen notwendig ist, um mögliche Fehlentwicklungen oder dual-use-Problematiken zu erkennen. Und über dieses Wissen verfügen vor allem die Menschen, die mit den Dingen vor Ort jeweils betraut sind. Obwohl wir als Gesellschaft also auf solche Hinweisgeber angewiesen sind, hat es dennoch viele Jahre bis zu einem besseren Schutz von Whistleblowern gedauert: Vor wenigen Wochen wurde als Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie ein Hinweisgeberschutzgesetz beschlossen. Aber auch wenn damit die Rahmenbedingungen verbessert wurden, es braucht nach wie vor viel Mut, Missstände transparent zu machen und damit soziale Missbilligung oder berufliche Nachteile, vor denen kein Gesetz schützen kann, in Kauf zu nehmen. Dies zeigten nicht zuletzt die Erfahrungen, die Carsten vom Bruch berichtete.
Ob Menschen bereit sind, trotz dieser Risiken Missstände zu melden, hängt nicht zuletzt davon ab, um welche es geht. Vor allem wenn Personen zu Schaden kommen, beispielsweise durch eine Unterversorgung in einer Pflegeeinrichtung, ist die Bereitschaft oftmals größer, als wenn es um eher abstrakte Rechtsgüter geht, berichtete Dr. Nico Herold. Es gebe dabei weder den „typischen“ Whistleblower noch sähen sich Whistleblower selbst als Helden. Zudem komme es in der Regel erst dann zu einem Whistleblowing, wenn Unternehmen oder Institutionen keinen guten Umgang mit Missständen und ihrer Meldung pflegen. Wenn also die naheliegenden Möglichkeiten zur Aufdeckung und zum Abstellen nicht funktionieren.
Dieser Punkt weist auf eine grundsätzliche Ebene, die in der Diskussion auch von Prof. Ann-Marie Nienaber und Dr. Petra Michel-Fabian betont wurden: Gesetzliche Maßnahmen wie auch Regelwerke in Unternehmen und Institutionen können immer nur den Rahmen bilden. Von zentraler Bedeutung ist eine Vertrauens- und Verantwortungskultur vor Ort, die einen offenen Umgang mit möglichen Fehlentwicklungen ermöglicht. Und, auch das wurde im Laufe des Gesprächs immer wieder deutlich: Whistleblowing ist kein theoretisches Thema. Jeder einzelne von uns kann jederzeit in die Lage kommen, mit Missständen und Fehlverhalten konfrontiert zu werden und die moralische Verantwortung zu spüren, zu einem Hinweisgeber zu werden. Und ein solcher „aufrechter Gang“ sollte dann nicht noch einen hohen Preis haben.
Beteiligt waren:
Karsten vom Bruch
ehem. Ingenieur und Betriebsratsmitglied bei Bosch und Whistleblower
Dr. Petra Michel-Fabian
Vorsitzende der Ethikkommission an der Fachhochschule Münster
Dr. Nico Herold
Curacon Wirtschaftsprüfung und Beratung Münster
Prof. Dr. Ann-Marie Nienaber
Human Resource Management and Organisational Behaviour, Coventry University