Eine der elementarsten Lebensäußerungen von Religion ist das Gebet. In vielfältiger Gestalt, zu den unterschiedlichsten Anlässen, allein, in Gemeinschaft, mit eigenen Worten oder in der Form von überlieferten, biblischen oder modernen Texten – im Gebet prägen sich Frömmigkeiten und Glaubensüberzeugungen auf eine sehr unmittelbare Weise aus.
Ist aber das Gebet, dessen älteste tradierte Gestalten wir aus dem Ersten Testament kennen, jeweils das Gleiche in der jüdischen und in der christlichen Praxis und Theorie? Meinen Christen und Juden dasselbe oder verschiedenes, beten sie möglicherweise dieselben Texte unterschiedlich oder gibt es ein gemeinsames Grundverständnis?
Diesen und weiteren Fragen widmete sich die Jahrestagung des Studienkreises Kirche und Israel im Februar 2025 in Haus Villigst.
Wie seit vielen Jahren üblich war auch hier der Tagungsansatz, jüdische Expert*innen einzuladen, fundierte Erläuterungen und lebendige Darstellungen von ihnen zu erhalten und in ein intensives Gespräch zu kommen, um das christlich-jüdische Verhältnis in Bezug auf ein bestimmtes Thema zu entfalten.
Vier Referent*innen beleuchteten dabei jeweils unterschiedliche Aspekte: Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg erläuterte anschaulich Gründe, Formen und Anlässe des jüdischen Betens und nahm dabei insbesondere auf die Amida, das Achtzehnbittengebet, Bezug. Prof. Dr. Karl-Heinrich Ostmeyer widmete sich neutestamentlichen Perspektiven auf das Gebet, unter denen das Vaterunser von zentraler Bedeutung ist und auf das er entsprechend ausführlich einging. Eine wieder andere jüdische Perspektive bot Rabbiner Prof. Dr. Daniel Krochmalnik mit seinem Vortrag über die Gebetshaltung, die Kawwana, und ihre Begrenzung in der Orthopraxie bzw. Gebetsordnung (Qewa), das Wechselspiel zwischen innerer Beteiligung und äußerem Vollzug von Beten bedenkend. Die zweite christlich-theologische Perspektive der Tagung: PD Dr. Eva Harasta stellte den Gedanken in den Mittelpunkt, dass das Beten neben anderen Intentionen und Motivationen grundlegend Ausdruck und Mittel der Beziehung zwischen Mensch und Gott, zwischen Betendem und Adressat des Gebetes ist.
Begleitend, weiterführend und ergänzend wurde in drei durchlaufenden Arbeitsgruppen auf der Tagung in grundlegende Themen des christlich-jüdischen Verhältnisses eingeführt, Gebetspraxis aus alttestamentlicher Zeit in materieller Kultur und antiken Texten sowie jüdische Gebete vorgestellt.
Morgenandachten zur lutherischen Auslegung des Vaterunsers und zur Bedeutung der Tora für Christ*innen und Jüd*innen nahmen wiederum in anderer Weise das Tagungsthema auf.
Am Ende der drei intensiven Tage für die Teilnehmer*innen – die aus ganz unterschiedlichen Alters- und Interessensgruppen stammten – standen vertiefte Einsichten nicht nur über die jüdische Gebetspraxis und Gebetstheologie, sondern auch über das eigene Verständnis von Gebet, christliche Gebetstraditionen und Ideen, um das Thema an anderer Stelle wieder aufzugreifen und fortzusetzen.
Dr. Friederike Barth
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