Rückblick: Nix zum Schämen – Zum Umgang mit psychischen Erkrankungen

Ende März und Anfang April 2025 veranstalteten die Evangelische Akademie Villigst und die Evangelische Stadtkirche Sankt Petri Dortmund in Petri zwei Abende zum Umgang mit psychischen Erkrankungen.

Alpakas, bunt

Am ersten Abend stand eine Einführung in Symptomatik, Diagnose und Therapie psychischer Erkrankungen von Hans Joachim Thimm, Oberarzt und heute zuständig für Öffentlichkeitsarbeit an der LWL-Klinik Dortmund, im Mittelpunkt. Am zweiten Abend ging es mit Prof. Dr. Georg Juckel und Prof. Dr. Paraskevi Mavrogiorgou-Juckel, LWL-Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin Bochum, um die Frage, „wie die Seele wieder Frieden findet“ und welche Impulse sich hierfür auch in biblischen Texten finden lassen. An beiden – humorvollen – Abenden gaben Manfred Grob, Organist und Kantor an St. Marien, und Vera Plum, Violinistin der Dortmunder Philharmoniker, musikalische Einblicke in die Frage, welche Rolle Emotionen in der klassischen Musik spielen, und die Besucherinnen und Besucher hatten die Gelegenheit, Bilder von psychisch erkrankten Menschen in einer kleinen Ausstellung von Halte-Stelle e.V. anzuschauen.

Wahrscheinlich gibt es psychische Erkrankungen, solange es Menschen gibt. Als ein frühes schriftliches Zeugnis gilt manchen das altägyptische „Gespräch eines Lebensmüden mit seiner Seele“ um 1900 vor Christus. Und doch war es ein langer Weg, bis diese als Erkrankung gesehen wurden. In Deutschland war der Umgang vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Abwertung und Unterversorgung gekennzeichnet, psychisch erkrankte Menschen wurden während des Nationalsozialismus Opfer von Zwangssterilisationen und im Rahmen der NS-„Euthanasie“ ermordet. Und auch nach dem Ende des 2. Weltkrieges blieben die Zustände in vielen psychiatrischen Kliniken menschenunwürdig. Der in den 1970er Jahren begonnene Weg zu Reformen und Anerkennung ist damit historisch noch sehr jung – all das mögliche Gründe dafür, dass psychische Erkrankungen für viele Betroffene bis heute schambehaftet sind.

Laut den Basisdaten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) von 2023 ist jedes Jahr gut jeder 4. Erwachsene von einer psychischen Erkrankung betroffen. Eine solche ist in Deutschland die 4. wichtigste Ursache für den Verlust gesunder Lebensjahre und Menschen mit psychischen Erkrankungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um 10 Jahre verringerte Lebenserwartung. Und: 2021 verübten in Deutschland etwa 9.200 Menschen einen Suizid, zwischen 50 und 90 Prozent davon lassen sich auf eine psychische Erkrankung zurückführen.

Diese Zahlen machen deutlich, dass es – auch wenn wir selbst oder unsere An- und Zugehörigen vielleicht nicht betroffen sein sollten – eine große Zahl von Menschen gibt, die hiervon betroffen sind und diese Menschen haben oft einen hohen Leidensdruck. Umso schlimmer, dass sie sich dann auch noch dafür schämen, und zwar mindestens aus drei Gründen. Zum einen, für viele psychische Erkrankungen gilt: werden sie erst nach Monaten oder Jahren behandelt, steigt das Risiko für eine Chronifizierung und Behandlungen dauern dann oftmals deutlich länger. Je früher man sich Hilfe sucht, und sich damit auch von Schamgefühlen etc. frei macht, je besser. Zum zweiten verhindert Scham oftmals, dass über die Erkrankung gesprochen wird, was sehr einsam machen und das soziale Umfeld hilflos zurücklassen kann. Und schließlich ist wahrscheinlich die Schambehaftetheit auch ein Grund dafür, dass psychische Erkrankungen bis heute von einer Gleichbehandlung mit somatischen Erkrankungen entfernt sind.

Und, wie gesagt, es ist eine sehr alte Geschichte, die sich nicht zuletzt an vielen Stellen in der Bibel wiederfindet. Wie Herr und Frau Prof. Juckel es ausdrücken: in den „Texten und Geschichten der Bibel, in denen sich Leiden und Freude, Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins abspielen, bietet sich die Chance […] sich durch die Spiegelung aller möglichen menschlichen seelischen Zustände als Mensch zu finden und seinem tiefen Inneren zu begegnen.“

An den beiden Abenden wurde nicht zuletzt deutlich, dass wir alle mit bunten Persönlichkeiten auf einer breiten Palette von so etwas wie „Normalität“ unterwegs sind, mal mehr, mal weniger auffällig. Psychische Erkrankungen sind daher nicht „das Andere“, sondern manchmal einfach Teil des Lebens, wie es auch jede somatische Erkrankung sein kann.

Nix zum Schämen_Hans Joachim Thimm

Hans Joachim Thimm, Oberarzt und heute zuständig für Öffentlichkeitsarbeit an der LWL-Klinik Dortmund

Nix zum Schämen

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