Rückblick:
Bullerbü oder Masterplan für Nachhaltigkeit?

Prominent besetzte Villigster Tagung diskutiert lokale Suffizienz-Strategien

Sven Rudolph und Stefanie Westermann

„Kommunale Experimentiermöglichkeiten radikal entfesseln!“

Vor fast 30 Jahren umschrieb die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ den sperrigen Fachbegriff der Suffizienz mit: „gut leben statt viel haben“. Diese Idee eines „genug“ steht bis heute im Widerspruch zu den dominanten gesellschaftlichen und ökonomischen Konzepten eines „mehr“. „Die planetaren Grenzen sind heute offensichtlicher denn je und allgemein anerkannt, doch weiter dominiert das Wachstumsparadigma“, betonte dann auch Prof. Dr. Angelika Zahrnt, Ehrenvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., auf der Online-Tagung „Bullerbü oder Masterplan für Nachhaltigkeit? – Chancen und Grenzen genügsamer Gemeinschaften“.

245003 Bullerbü

Im Gespräch über die gesamtgesellschaftliche Tragfähigkeit von Suffizienz wies Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, darauf hin, dass trotz der immer deutlicher werdenden ökologischen Krisen nach wie vor ein hoher politischer Druck vorhanden sei, auf Wachstum zu setzen. Außerdem habe man im bestehenden System längst nicht alle konventionellen Spielräume ausgereizt: „Der Ruf nach Suffizienz hat keine Strahlkraft entfaltet. Schon der Begriff ist völlig unverständlich. Verbindliche Gesetze zur Einhaltung der planetaren Grenzen sind einleuchtender und freiheitsschonender als Rufe nach Genügsamkeit.“ Als Beispiel nannte er den EU-Emissionshandel mit seinen absoluten Emissionsmengenbegrenzungen. Damit habe man, quasi unbemerkt, wirksame Suffizienzpolitik gemacht. Giegold betonte dabei auch, dass es zwar darum gehe, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben, nicht aber darum, bestimmte Lebensweisen für alle vorzuschreiben. Sein Gesprächspartner Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, stimmte diesbezüglich zu. Er betonte neben den großen, vor allem finanziellen, Herausforderungen für Kommunen vor allem die notwendige Freiheit für Experimente auf kommunaler Ebene. Schneidewind rief in diesem Zusammenhang zur „radikalen Entfesselung der Experimentiermöglichkeiten“ auf.

Für die Anerkennung allgemeiner Ziele wie der Sustainable Development Goals und mehr Flexibilität bei der Zielerreichung argumentierten auf dem Abschlusspodium auch die eingeladenen Vertreter*innen aus Wissenschaft, Lokalpolitik und Zivilgesellschaft. Vieles sei auf kommunaler Ebene machbar, wenn der Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu justiert werde. Gerade in den Kommunen rentierten sich Investitionen, denn die kommunale Ebene sei es doch, auf der einerseits Probleme zuerst sichtbar, andererseits aber auch Suffizienzmaßnahmen unmittelbar erlebbar würden.

Im Laufe der Tagung stellten zudem verschiedene zivilgesellschaftliche Suffizienz-Initiativen wie die „anstiftung“, die „SupraStadt Heidelberg“ und die Münchner Initiative „Gutes Leben im Quartier“ ihre Projekte vor. Ergänzt wurde das Programm mit einem Bericht über das Bürgerbeteiligungsprojekt „Klimaviertel“ der Stadt Bonn und einer Präsentation der Ergebnisse des internationalen Forschungsprojekts FULFILL des Wuppertal Instituts.

Die Tagung wurde vom Institut für Kirche und Gesellschaft zusammen mit dem Wuppertal Institut und dem BUND e.V. Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen organisiert. Anlass war neben dem Abschluss des FULFILL-Projektes auch die Veröffentlichung des Diskussionsvorschlages des Sachverständigenrates für Umweltfragen zu Suffizienz im Januar dieses Jahres.

2023_Rudolph_Sven_Porträtbild_NEU

Dr. Sven Rudolph, Referent für sozial gerechte Klima- und Energiepolitik

2022_Westermann_Stefanie_Porträtbild

Dr. Stefanie Westermann, Studienleiterin für Naturwissenschaft, Technik und Ethik

Kontakt

Dr. Sven Rudolph
02304 / 755 349
sven.rudolph@kircheundgesellschaft.de
Iserlohner Straße 25
58239 Schwerte

Dr. Stefanie Westermann
02304 / 755 320
stefanie.westermann@kircheundgesellschaft.de
Iserlohner Straße 25
58239 Schwerte