Wirksam, finanzierbar und gerecht? Online-Tagung diskutiert die Neuorientierung der Klimapolitik nach den Wahlen

Rückblick: Preise – Prinzipien – Pragmatismus

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Dass Deutschland beim Wachstum nicht mal mehr in der 2. Bundesliga spiele, darauf wies Prof. Dr. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, direkt zu Beginn seines Eröffnungsvortrages hin. Das neue Investitionspaket für die Bundeswehr und die Infrastruktur mache diesbezüglich jedoch Hoffnung. Doch auch wenn militärische Investitionen oft zivile Investitionen nach sich zögen, wären Investitionen in den Klimaschutz deutlich produktiver. Deutschland habe sich aber in eine Situation gebracht, in der es abhängig von Waffen aus den USA, Energie aus Russland und Absatzmärkten in China war – all diese Abhängigkeiten fallen dem Land nun fast gleichzeitig auf die Füße.

Vor dem Hintergrund dieser für den Klimaschutz herausfordernden Situation diskutierten am 7. und 8. März kurz nach der Bundestagswahl rund 40 Teilnehmer*innen mit Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft auf einer Online-Tagung die Neuorientierung der Klimapolitik in Deutschland: Wie kann angesichts dieser Rahmenbedingungen eine zukunftsweisende Klimapolitik aussehen? Woher sollen die für die sozial-ökologische Transformation benötigten Investitionen kommen und wohin sollen sie gehen? Und was wird mit dem CO2-Preis und dem Klimageld? Die Tagung wurde vom IKG unter Leitung von Dr. Stefanie Westermann und Dr. Sven Rudolph in Kooperation mit dem BUND Bundesarbeitskreis Wirtschaft und Finanzen unter dessen Sprecher Prof. Dr. Rudi Kurz ausgerichtet.

Die Herausforderungen für die deutsche Industrie skizzierte Dr. Thilo Schaefer vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Die Unternehmen seien konfrontiert mit erhöhten Anforderungen bei zugleich erschwerten Bedingungen. Gleichwohl brauche es für neues Wirtschaftswachstum eine konsequente Transformation.

Die Notwendigkeit der Transformation unterstrich auch Dr. Brigitte Knopf in ihrer Rolle als Mitglied des Expertenrats für Klimafragen. Zwar sei die Klimabilanz der letzten Bundesregierung besser als ihr Ruf, trotzdem bleibe eine Ziellücke vor allem bei den Sektoren Gebäude und Verkehr. Als Direktorin der Denkfabrik Zukunft KlimaSozial wies sie auf die negativen sozialen Folgen einiger bisheriger Klimaschutzpolitikansätze hin und stellte ihr Viersäulenmodell für einen sozial gerechten Klimaschutz vor.

Wie der bereits ökologisch und ökonomisch wirksame EU-Emissionshandel durch ein begleitendes Klimageld – also die gezielte Förderung einkommensschwacher Haushalte aus dem neuen EU-Klimasozialfonds und die Verwendung der Einnahmen aus dem europäischen CO2-Grenzausgleich für die Internationale Klimafinanzierung – sozial gerechter werden kann, skizzierte Dr. Sven Rudolph, Klimapolitikexperte am IKG. „So kann marktlicher Klimaschutz wirklich nachhaltig werden.“

Für eine stärkere Differenzierung von Klimaschutzinstrumenten auf der Basis unterschiedlicher Betroffenheiten und Leistungsfähigkeiten von Bürger*innen sprach sich hingegen Dr. Ines Verspohl von der Denkfabrik Sozial-Klimarat aus. Auf eine Lenkungswirkung von Preisen zu setzen, sei nicht überzeugend, kritisierte sie den von vielen Klimaökonomen bevorzugten Ansatz. Bereits eingangs der Tagung hatte hingegen Moritz Schularick betont, gerade bei Mittelknappheit seien kosteneffiziente Lösungen im Klimaschutz unabdingbar: Zentral sei die Frage, wie viel die Einsparung einer Tonne CO2 koste.

Die notwendigen öffentlichen Mehrinvestitionen für die sozial-ökologische Transformation schätzte Swantje Fiedler vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft auf 60 bis 80 Milliarden Euro jährlich. Doch diese Investitionen seien leistbar und lohnten sich. Notwendig sei auf der Einnahmenseite ein „Finanzierungspuzzle“ aus neuen Schulden und Steuern auf Vermögen. Auf der Ausgabenseite sprach Fiedler sich angesichts der zunehmenden Mittelkonkurrenz für eine Priorisierung auf der Basis von Nachhaltigkeitskriterien, dem sogenannten SDG-Budgeting, aus – SDG steht hier für die globalen UN-Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals.

Die Bedeutung einer stärkeren Verknüpfung klimapolitischer Ziele und Instrumente mit dem wirtschaftlichen Erfolg betonte Prof. Dr. Torsten Schmidt vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Die große Herausforderung für die Industrie sei dabei Produkte zu produzieren, die auch unter den Bedingungen der sozial-ökologischen Transformation noch wettbewerbsfähig seien.

Auf dem Abschlusspodium waren sich die Diskutant*innen dann weitgehend einig: Die Klimakrise geht nicht weg. Notwendig sei es, sowohl die Haushalte als auch die Industrie bei der Transformation mitzunehmen. Eine Deindustrialisierung sei für die meisten Menschen wenig attraktiv, die Klimapolitik aber auch sozial-politisch höchst sensibel. Doch wenn die sozial-ökologische Transformation richtig gemacht und dabei der Fokus gerade in solch schwierigen Zeit auf Maßnahmen gelegt werde, bei denen es die größten Synergien zwischen Klima-, Sozial- und Wirtschaftspolitik gebe, sei viel zu gewinnen.

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Dr. Sven Rudolph, Referent für sozial gerechte Klima- und Energiepolitik

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Dr. Stefanie Westermann, Studienleiterin für Naturwissenschaft, Technik und Ethik

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