Fotoausstellung „Gesichter und Geschichten zwischen Diktatur und Demokratie“

Vom 14. Januar bis zum 11. April 2022

Je mehr uns die Gesichter, die Mimik und die Spuren gelebten Lebens hinter unseren Masken abhandenkommen, umso dringlicher scheint es zu sein, dass wir das alles wenigstens in unseren Ausstellungen zeigen. Bei dieser Ausstellung sehen wir echte Gesichter mit wirklichen Lebensspuren.

Leni_Spiering_Dirk Vogel_Ausstellung 2022

Ein paar Worte zum Fotografen: Dirk Vogel, Ende der 1960er Jahr in Lüdenscheid geboren, hat schon fotografiert, bevor er richtig schreiben konnte (das ist nur unwesentlich übertrieben). Bereits als Jugendlicher zog er mit der Kamera los und hat sich über die Jahre mit ihr einen Weg zu sperrigen, wunden Themen gebahnt - und zu den Menschen, die damit zu tun hatten. Mit Anfang/Mitte 20 entstehen in den frühen 1990er Jahren erste Fotoreportagen zu Sinti und Roma in Auschwitz und zu ihrer Wallfahrtsstätte St. Maries de la Mer in der Provence. 1996 folgt dann die Reportage über Menschen mit Behinderungen im Märkischen Kreis, die ein unbehindertes Leben führen möchten. Als Diplomarbeit 1999 entstehen bildjournalistische Portraits von deutschen Juden und Juden in Deutschland.

Vielen seiner Themen ist er bis heute treu geblieben. Es sind vor allem und immer die Menschen, die ihn interessieren, ihre Gesichter. Es sind Menschen, die nirgends prominent vorkommen. Menschen, die wir meist nur über Statistiken kennen. Fast immer sind es Menschen, die auf die eine oder andere Weise beschädigt sind, beschädigt wurden oder - als Gruppe – Zumutungen, Entwürdigungen oder Verletzungen ausgesetzt waren und sind. Und über die das Leben hinweggeht.

Die Portrait-Aufnahmen, die wir hier zeigen, machen diese Menschen nicht nur als Individuen sichtbar, sondern lassen uns auch einen Moment innehalten, um die Gesichter in den Blick nehmen zu können, sie gründlich zu betrachten – und Zeit haben für ihre Geschichten.

Das Projekt „Gesichter und Geschichten zwischen Diktatur und Demokratie“ ist in Zusammenarbeit mit dem Lüdenscheider Verein Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus entstanden.

Wie in vielen Kommunen wurden in den 1930er und 40er Jahren Haftzellen in Polizeistationen und Rathäusern von der SS und der Polizei als sogenannte Schutzhafträume benutzt. Es waren Orte der Willkür und Rechtlosigkeit. Und in Lüdenscheid ist wie an vielen anderen Orten auch erst sehr lange nach Krieg und NS-Zeit ein Gedenkraum entstanden, der sich mit dieser lokalen Geschichte beschäftigt.

Der Verein in Lüdenscheid und Dirk Vogel haben sich vor etwa fünf Jahren daran gemacht, Menschen, die Mitte bis Ende der 1920er Jahre geboren wurden, nach ihren Erfahrungen als Kinder und Jugendliche, bzw. junge Erwachsene in der NS-Zeit zu befragen. Es sind Geschichten aus der Erinnerung von über 70 Jahren. Unsere Porträtierten gingen zur Schule, mussten den NS-Jugendorganisationen beitreten, zum Arbeitsdienst und die jungen Männer auch in den Krieg. Sie erzählen vom Alltag, von Besonderheiten und dem Leben, das danach anfing, häufig genug in Gefangenenlagern.

Es ist verblüffend, wie offen die alten Menschen von sich sprechen – von ihrer Naivität, ihrem Wissen und Unwissen damals, von dem, was sie gemacht haben und wo sie waren. Es gibt Stichworte, die Abgründe öffnen – die Beteiligung an besonders verbrecherischen Divisionen oder die Schulung zur Ausbilderin im Arbeitsdienst, militärische Offensiven, Haft von freigeistigen Familienmitgliedern, Kommunisten oder Sozialdemokraten, Entbehrungen und Schikanen während der Gefangenschaft. Alles, was wir über diese Zeit wissen, wird durch diese Berichte ganz kleinteilig und persönlich. Gerade, wenn die Menschen von den Jugendorganisationen sprechen, den regelmäßigen Treffen, den Feiern und Weihen, Ausflügen und Jubiläumstagen können wir heute noch nachvollziehen, wie die Mischung aus Zwang und Verführung bei vielen Menschen eine zustimmende Haltung zum Regime erzeugte.

Denn die jungen Menschen von damals haben auch Schönes erlebt, Freundschaften fürs Leben gefunden, gelegentlich auch Ehepartner. Sie konnten etwas von Deutschland sehen, wenn sie für Arbeitsdienste und Militärausbildungen irgendwohin geschickt wurden. Meist haben sie das genossen, weil sie sonst in Lüdenscheid, oder Halver, oder Altena geblieben wären – und nichts anderes kennengelernt hätten.

 

Die Texte zu den Fotos hat Matthias Wagner aus den Gesprächsprotokollen erstellt. Zum Abschluss der Gespräche wurden die Fotos gemacht (natürlich gibt es dazu auch wieder Geschichten).

Dirk Vogel bewertet mit seinen Fotos die Porträtierten nicht. Er stellt sie dar – dort, wo sie leben, bzw. lebten, im Garten, zu Hause, im Sessel, mit einer Puppe aus Kindertagen auf dem Schoß. Einige hängen noch dem Gespräch in Gedanken nach - das sieht man ihnen an - andere sind ganz in der Gegenwart des Foto-Machens.

Fast alle sagten, was sie sich für die Zukunft wünschen. Das wiederum ist geprägt von den eigenen Erfahrungen und Einsichten, die sich häufig erst nach dem Krieg einstellten. Für etliche sind diese Wünsche zum Vermächtnis geworden, denn in den vergangenen fünf Jahren sind schon sehr viele von ihnen verstorben.

 

In Haus Villigst gilt die 2G+-Regel, d.h. es können nur doppelt Geimpfte und Getestete, bzw. Menschen mit dreifacher Impfung die Ausstellung besuchen. Bevor Sie die Ausstellung ansehen, melden Sie sich bitte an der Rezeption.

Es gibt außerdem einen Katalog zur Ausstellung, der für 10,00 Euro erworben werden kann.

Kontakt

Kerstin Gralher
02304 / 755 323
kerstin.gralher@kircheundgesellschaft.de
Iserlohner Straße 25
58239 Schwerte