Die Iserlohner Winteruniversität findet immer in der letzten Januarwoche statt. Konnte im Januar 2020 die Tagung noch als eine der letzten großen Veranstaltungen vor den einschneidenden Anti-Covid-Maßnahmen stattfinden, war sie 2021 ein reines Online-Format. 2022 fiel sie aus, weil die Teilnehmer einhellig wissen ließen: Winteruni – ja, sehr gern, aber auf keinen Fall online!
In der vergangenen Woche gab es also einen Neustart und der war zur Überraschung der Organisatoren (VHS Iserlohn, Evangelische Akademie Villigst und Weltenraum Iserlohn) überwältigend gut gelungen. 200 Teilnehmende beschäftigten sich an drei Tagen mit dem vielschichtigen und vieldeutigen Thema „Krisen“.
Für den ehemaligen Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert liegt die politisch gefährlichste Krise nicht in den sich in der Wichtigkeit ständig selbst überholenden Krisen des vergangenen Jahres: Covid, Krieg gegen die Ukraine, Energiekrise, Inflation, sondern in der Krise der Demokratie selbst, die sich durch Vertrauensverlust in die Institutionen, in auch mißverständliche Vorstellungen vom politisch Machbaren – schließlich geht es bei Politik nicht um einen Wahrheits- oder gar Wahrhaftigkeitsanspruch, sondern um einen Geltungsanspruch, der immer wieder neu ausgehandelt wird - und der Bereitschaft der einzelnen, sich in produktiver Weise an diesem Aushandlungsprozess zu beteiligen. Natürlich gehört auch die Vervielfältigung der medialen Stimmen dazu – es gibt schon lange nicht mehr wenige „Leitmedien“, sondern (fast) jeder wird auch zum Sender, was Prof. Lammert eingängig illustrierte durch einen Vergleich: Donald Trump hatte während des US-Wahlkampfes vor sechs Jahre mehr Abonnenten seines Twitter-Kanals als alle großen US-Tageszeitungen zusammen.
Nach der Krise der Politik führte Prof. Dr. Frank Decker von der Universität Bonn durch die politischen Krisen der vergangenen 20-22 Jahre, wobei auch er gleich zu Beginn deutlich machte, dass Krisen in der Politik der Normalzustand seien und der Begriff die Problemstellungen nicht treffend zu fassen vermag.
Mit dem Beitrag von Prof. Dr. Andreas Heinemann-Grüder rückte dann eine Krise in den Fokus, die den Begriff eher sprengt – der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Er erläuterte die historischen, kulturellen und politischen Hintergründe des Konflikts, stellte verschiedene Szenarien vor, in denen der Krieg überhaupt zu einem Ende finden konnte und verstand es, nicht nur die komplexe und vielschichtige Lage bravourös zu analysieren, sondern den Gästen der Winteruni auch eine Idee von den Werten, Grenzen und Möglichkeiten des Völkerrechts und der institutionalisierten Befriedung zu vermitteln. Naturgemäß konnte er keine Antwort auf das Wie und Wann eines Kriegsendes liefern, stellte aber die minimalen Voraussetzungen vor, unter denen überhaupt über Frieden verhandelt werden könne, wie bspw. Sicherheitsgarantien, Reparationen, Ahndung von Kriegsverbrechen oder der Wiederaufbau der Ukraine neben weiteren Punkten.
Den Blick auf die USA lenkte Dr. Jan-Philipp Burgard, Chefredakteur von WELT-TV, und zeigte unterschiedliche Facetten eines Landes im emotionalen Ausnahmezustand auf.
Da bei der Winteruniversität nicht nur über die Probleme der Welt diskutiert wird, sondern auch über die Auswirkungen vor Ort, stellt der Vertriebsleiter der Stadtwerke Iserlohn, Thomas Stoltmann, vor, wie sich die Energiepreise entwickeln, wie Energie und Gas gehandelt werden und welche Szenarien der Energieversorgung es auch im unmittelbaren Umfeld gibt.
Und damit wir die Teilnehmenden nicht vollkommen betrübt nach drei Tagen nach Hause schicken mussten, wurde die Winteruniversität mit einem Beitrag der wissenschaftlichen Mitarbeiterin und Doktorandin an der FH Südwestfalen Meschede, Clara Seif el Dahan, zu positiver Psychologie abgeschlossen.
Wenigstens ein Fazit kann mit Sicherheit aus der diesjährigen Veranstaltung gezogen werden: Im nächsten Jahr wird es wieder eine Winteruniversität geben.
Kerstin Gralher, 26.1.2023
Kerstin Gralher
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