„Es ist kompliziert.“
Das zweite Gespräch in der Reihe „Villigst fragt nach: Krieg in der Ukraine!“ (in Kooperation mit der Ev. Akademie zu Berlin) hat am 16. März mit Dr. Sergey Bortnyk, Dozent an der Theologischen Akademie Kiew der Ukrainisch- Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) stattgefunden. Die Videodokumentation seines Beitrags kann hier angesehen werden:
Sergey Bortnyk war aus der Westukraine zugeschaltet – Kiew hatte er mit seiner Familie einige Tage zuvor verlassen. Er berichtete anschaulich von der kirchlichen Situation, der Haltung der beiden getrennten orthodoxen Kirchen in der Ukraine, aber auch von seinen Einschätzungen, die Kriegssituation und deren historischen Hintergründe betreffend.
Dass sich die beiden orthodoxen Kirchen in ihren Haltungen zum Staat deutlich unterscheiden, dass die unter dem Moskauer Patriarchat stehende – Bortnyks eigene Kirche – nun in teils offene Distanz zu ihrem Oberhaupt Kyrill geht und sich dabei in ihrer Haltung der anderen orthodoxen Kirche annähert, ist eine paradoxe Bilanz des Krieges. Im Hinblick auf die Möglichkeiten zu einer erfolgreichen Intervention bei Putin war unser Gast schon aufgrund der Nähe von Patriarch Kyrill zu Putin und seiner Sakralisierung des Krieges skeptisch. Zugleich erfahren die Teilnehmenden interessante Aspekte über die Entwicklungen, die aus Sicht von Sergey Bortnyk zu dieser komplizierten Situation geführt haben, in der letztlich zwei konkurrierende Kirchen nun in ihrem Eintreten für die Souveränität der Ukraine vereint sind, ohne dass jedoch eine kirchenrechtliche Vereinigung in Sicht wäre.
Im Verlaufe des Abends kam zudem die Frage auf, welche Reaktionen und Interventionen nun vom Ökumenischen Rat der Kirchen erwartet werden können. Einige der Teilnehmenden erinnerte die Situation an die faktische Spaltung der deutschen protestantischen Kirchen in die Hitler-treue Deutsche Evangelische Kirche und die um Anerkennung in der Ökumene ringende Bekennende Kirche, was bei allen Unterschieden in der historischen Situation den Fokus auf die übergeordnete Frage richtet, ob Kirche sich nicht selbst aufhebt, wenn sie mit Diktatoren kollaboriert.
Für die orthodoxen Kirchen in der Ukraine dürfte der nun im Gange befindliche Prozess der Neuordnung und der Neubestimmung ihres Verhältnisses zueinander, zu Russland und zu Europa nicht mehr rückholbar sein. Doch zentral, so Dr. Bortnyk am Ende, werde vor allem ihre gemeinsame Aufgabe die der Versöhnung sein. Bis dahin sei es ein langer Weg, doch ein Weg, der gemeinsam mit den europäischen Kirchen beschritten werden könne und müsse. Ein kleiner Anfang dazu ist mit dem sehr interessanten und sehr gut besuchten Abend gemacht worden.