Haben Sie es gewusst? Bereits seit 1995 gelten in der Evangelischen Kirche von Westfalen die Leitlinien zur gerechten Sprache im Gottesdienst. Darin heißt es u.a. „Wenn wir die Menschen in ihrer Vielfalt im Gottesdienst ansprechen wollen, müssen wir eine Sprache vermeiden, die stereotype Wertsetzungen enthält“. Das heißt konkret: Geschlechterklischees vermeiden und Menschen mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten explizit benennen. Das bedeutet z. B. nicht nur von heterosexuellen Paarbeziehungen zu sprechen, sondern auch Alleinerziehende oder Regenbogenfamilien durch Worte und Erzählungen sichtbar und hörbar zu machen. Denn erst wenn Menschen sich in ihrer Lebenswirklichkeit gesehen fühlen, können sie Kirche als ihr Zuhause erleben.
„Wenn ich ehrlich bin, war ich schon lange nicht mehr in der Kirche, weil ich genau das vermisst habe“, so eine Teilnehmerin des Fachtags „Geschlechtersensible Kommunikation“, der am 9. September 2022 in Bielefeld stattgefunden hat. „Ich kenne viele Menschen, die keine Lust mehr auf Gottesdienste haben, in denen Gott nur als Herr, Schöpfer, Allmächtiger angesprochen wird“, ergänzte eine andere Teilnehmerin. Auch wenn die Leitlinien bereits einige Jahrzehnte alt sind, ist ihr Inhalt hoch aktuell und bei weitem noch nicht überall gelebte Realität. Dabei gibt es viele alternative Gottesbezeichnungen jenseits von Gott als Vater, dem Allmächtigen, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, zum Beispiel JHWH, die heilige Geistkraft, die Liebe, die Ewige, die Lebendige, Adonaj oder die Nährende.
„Das Bilderverbot fordert uns heraus, unsere Gottesbilder nicht nur auf „das Männliche“ zu reduzieren, sondern die Vielfalt zu benennen und zu predigen“, so Nicole Richter, Gleichstellungsbeauftragte der EKvW und Leiterin des Fachbereichs Frauen, Männer, Vielfalt im Institut für Kirche und Gesellschaft. Zusammen mit Kerstin Schachtsiek, Ev. Erwachsenenbildung des Kirchenkreises Bielefeld, hat sie die Veranstaltung organisiert und durchgeführt. Auf die Frage, warum es eigentlich sinnvoll und angezeigt ist, vielfältig von Gott zu erzählen, antworteten die Teilnehmerinnen: „Weil wir Menschen in ihrer Vielfalt ansprechen wollen“, „Weil wir nach Gottesbildern suchen, die herrschaftsfrei sind und keine Hierarchien transportieren“, „Weil wir kritisch reflektieren, was wir predigen. Denn jedes Wort - und wir sind eine wortlastige Kirche - erzeugt Wirklichkeit, deshalb sollten wir unsere Worte achtsam wählen.“
Diakonin Kerstin Schachtsiek erläuterte dazu, dass sich geschlechtersensible Kommunikation in Gottesdiensten und Andachten auf verschiedenen Ebenen zeige: Zum einen in der Ansprache der Menschen, die vielfältig leben und lieben. Zum anderen in dem Erzählen von Gott, in all ihrer Buntheit, in der sie in der Bibel beschrieben wird. Auch dazu geben die Leitlinien zur gerechten Sprache bereits einen Hinweis. Dort heißt es: „Wenn wir im Gottesdienst von Gott sprechen, müssen wir uns der Bildhaftigkeit unserer Rede bewusst sein. Es gilt, die Fülle der biblischen Traditionen wahrzunehmen, die eine Vielfalt von Gottesbildern bieten.“ Aber auch durch Lieder werden Bilder von Gott transportiert. Und auch diese schaffen Wirklichkeit und sollten bewusst gewählt werden. Die Teilnehmerinnen überlegten gemeinsam, welche Lieder eine weite Vorstellung von Gott ermöglichen, und fanden einige: „Der Himmel geht über allen auf“, „Geh aus mein Herz und suche Freud“, „Die Nacht ist vorgedrungen“, „Wir strecken uns nach dir“.
Mit dem Beschluss der Landessynode im Juni 2022 zur „Geschlechtlichen Vielfalt“ wird das Thema „gerechte Kommunikation in Gottesdiensten und Andachten“ wieder aktuell. Während 1995 der Schwerpunkt darauf lag, Frauen und ihre Lebenswirklichkeit sichtbar und hörbar zu machen, stehen heute alle Geschlechter – jenseits der Binarität – im Fokus. Wie kann es gelingen, alle Menschen einladend anzusprechen? Wie können wir heute vielfältig von Gott sprechen, ohne in patriarchale Bilder zu verfallen? Dass gedankliche Freiheit auch die Kreativität anregt, konnten die Teilnehmerinnen am Ende des Fachtags entdecken. Sie verfassten einen Segen, der bewusst ein weites Gottesbild betonte und waren gerührt von der Tiefe ihrer eigenen, achtsam gewählten Worte.
Wenn Sie Interesse an einem Workshop zum Thema „Gerechte Kommunikation in der kirchlichen Alltagssprache“ bzw. „in Gottesdiensten oder Andachten“ haben oder weitere Informationen wünschen, melden Sie sich bei nicole.richter@kircheundgesellschaft.de oder
kerstin.schachtsiek@kirche-bielefeld.de.
Nicole Richter
02304 / 755 324
nicole.richter@kircheundgesellschaft.de
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