Alleinerziehend – eine wachsende Familienform mit besonderen Bedarfen

Seit mehreren Jahren bietet das Frauenreferat der EKvW Bildungsangebote für Ein-Eltern-Familien an. Gerade sind zwanzig alleinerziehende Mütter und ihre Kinder von einer Fahrt nach Langeoog zurückgekehrt. Nicole Richter (NR), Leiterin des Fachbereichs „Frauen Männer Vielfalt“ im Institut für Kirche und Gesellschaft und Gleichstellungsbeauftragte der EKvW, sprach mit Ute Durchholz (UD) vom Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) über die Situation von Alleinerziehenden in Deutschland (www.vamv.de).

Langeoog Ein Eltern

(NR) Man hört immer wieder zwei Begriffe: „Alleinerziehende“ und „Ein-Eltern- Familien“. Was ist treffender?
(UD) Ich finde den Begriff der Ein-Eltern-Familie sehr passend, weil er klar macht, dass auch wenn nur ein Elternteil da ist, man eine vollwertige Familie ist.
Hinter dem Begriff stehen ganz unterschiedliche Lebenskonzepte. Es gibt Alleinerziehende, die eng mit dem ehemaligen Partner oder Partnerin die Elternrolle ausüben Aber es gibt auch Mütter und Väter, die 100% der Betreuungsarbeit alleine erledigen, weil der andere Elternteil keine Betreuung übernehmen will oder kann. Ein-Eltern-Familien sind sehr divers.


(NR) Die Ein-Eltern-Familie ist die stetig wachsende Familienform. Und die meisten Alleinerziehenden sind immer noch weiblich, oder?
(UD) Ja, das ist so. Die betreuenden Elternteile sind zu 83% weiblich. Das Interesse der Väter steigt, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, aber nach wie vor ist es so, dass die Belastung aus Erwerbs- und Carearbeit bei den Müttern liegt. Alleinerziehende und ihre Kinder haben auch das höchste Armutsrisiko aller Familienformen.

(NR) Wie kommt es zu der starken Armutsgefährdung?
(UD) Das ist Ausdruck einer vielschichtigen, gesellschaftlichen Benachteiligung. Bei den betreuenden Müttern haben wir eine hohe Quote von Erwerbstätigen: Ca.71% von ihnen beziehen ihr Haupteinkommen aus ihrer Erwerbstätigkeit. Viele Frauen arbeiten jedoch in klassisch weiblichen Berufen, also in sozialen, pflegerischen Bereichen oder im Einzelhandel. Das sind Berufe, mit einem eher niedrigen Durchschnittseinkommen. Und wenn sich das Einkommen dann noch aufgrund von Teilzeitarbeit, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen, reduziert, bleibt am Ende nicht mehr viel übrig. Schon jetzt müssen 57% aller Alleinerziehenden oder betreuenden Elternteile mit einem Haushaltsnetto von unter 1400 Euro auskommen. Um das einmal kurz zu fassen: Bei einem Kind unter 14 Jahren, liegt die Armutsgefährungsschwelle bei 1463€. Bei einem Kind zwischen 14-18 Jahren liegt sie bei 1688€. Das heißt, wenn der betreuende Elternteil weniger als 1463€ zur Verfügung hat, und das ist bei 57% der Fall, dann können wir schon von einer ganz großen Armutsgefährdung reden. Und da sind die Preissteigerungen im Lebensmittelsektor, bei den Mieten und den Energie- oder Kraftstoffkosten noch nicht bedacht.

Außerdem ist der Mindestunterhalt für Kinder oft sehr prekär. Die Berechnung des Mindestunterhalts liegt bei 399€ pro Monat. Dabei gibt jemand der ein Durchschnittseinkommen hat, gibt schon 710€ für ein Kind im Monat aus.
Dazu kommt eine schwache Zahlungsmoral beim Kindesunterhalt: 25% aller umgangsberichtigter Elternteile, vornehmlich Väter, zahlen den kompletten Satz, die restlichen ¾ zahlen diesen nur teilweise, oder sie zahlen überhaupt keinen Unterhalt für ihre Kinder.

(NR) Welche Möglichkeiten sieht der VAMV um der steigenden Gefahr der Kinderarmut zu begegnen?

Der VAMV fordert eine wirksame Anti-Armutspolitik und eine Kindergrundsicherung, die tatsächlich das soziokulturelle Existenzminimum abdeckt. Das wurde so auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Einmalzahlungen sind nicht sehr zielfördernd. Auch eine Sofortzahlung von 20€ wäre ein Tröpfchen auf den heißen Stein. Es muss ein Ziel sein, dass erwerbstätige Eltern von ihrem Auskommen leben können. Momentan ist es so, dass 33,5% aller alleinerziehenden Haushalte auf SGB2-Leistungen angewiesen sind, auch wenn sie erwerbstätig sind. Das sind die sogenannten „Aufstocker“, die von dem Gehalt, dass sie redlich verdienen, nicht auskömmlich leben können. Das muss sich ändern.

(NR) Was könnte die Evangelische Kirche unterstützend für Ein- Eltern-Familien tun?
(UD) Es wäre hilfreich, wenn es mehr Austauschmöglichkeiten für Alleinerziehende gäbe. Ganz niederschwellig: Eine Kaffeerunde, ein Frühstück, Räume für Begegnung. Wichtig dabei ist, dass es parallel ein Betreuungsangebot für Kinder gibt. Die Mütter und Väter sind mit einer Fülle von Herausforderungen konfrontiert - angefangen mit Finanz- und Wohnfragen, Rechtliches zum Umgang oder zur Erziehung und Vereinbarkeit etc., da braucht es Räume für Austausch ohne, dass die Kinder daneben sitzen. Außerdem steigt die Zahl der Trennungsväter, die sich vernetzen möchten und die qualitativ gute Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten. Hier ein Angebot vorzuhalten, wäre sicher attraktiv.

Das Interwiew erschien zuerst in der UK-Ausgabe Nr. 32.

Die nächste Fahrt nach Langeoog für Alleinerziehende findet in den NRW-Herbstferien 2023 statt.
Weitere Informationen unter www.kircheundgesellschaft.de oder 02304-755-230.

2021_09_07_Richter_Nicole_Porträtbild

Nicole Richter, Gleichstellungsbeauftrage der EKvW und Fachbereisleiterin am IKG

Kontakt

Nicole Richter
02304 / 755 324
nicole.richter@kircheundgesellschaft.de
Iserlohner Straße 25
58239 Schwerte