Traumatisierte Geflüchtete – Hilfe für die Seele

22.08.2022

Villigst fragt nach

Im Rahmen der Online-Veranstaltungsreihe „Villigst fragt nach“ am 17. August erläuterte Dr. Andrea Möllering, Chefärztin der Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld, die Wirkungen traumatischer Erlebnisse auf die Betroffenen, mögliche Reaktionen und konkrete Unterstützungs- und Therapiemöglichkeiten.

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Vor wenigen Wochen erschossen Polizisten in Dortmund einen mit einem Messer bewaffneten geflüchteten 16jährigen Jugendlichen. Nach solchen tragischen Ereignissen schafft es manchmal ein Thema in die Nachrichten, das sonst im öffentlichen Raum kaum vorkommt: die Frage nach psychischer Hilfe für geflüchtete Menschen. Generell scheint das Wissen darum, was viele Geflüchtete erlebt und erlitten haben und welche Folgen diese Erlebnisse haben können, wie sich diese im Verhalten der Betroffenen äußern können, gering zu sein. Dabei lassen bereits die Bilder aus der Ukraine und vielen anderen Kriegs- und Krisenregionen weltweit erahnen, was Menschen dort erfahren: Angst um ihr Leben und das ihrer Angehörigen und Freunde, mannigfache Gewalt, den Verlust von Heimat und Lebensentwürfen. Erlebnisse, die Menschen prägen, die auf vielfältige Weise nachwirken, die zu Veränderungen im Gehirn und zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen führen können. Die Erfahrungen während der Flucht, aber auch die Herausforderungen des neuen Alltags hier und die oft ungewissen Zukunftsaussichten sowie die Sorge um Familie und Freunde, die zurückgeblieben sind, stellen zusätzliche Belastungsfaktoren da.

Studie zeigt Handlungsbedarf

Im Jahr 2018 veröffentlichte das Wissenschaftliche Institut der AOK die Ergebnisse einer Befragung von Geflüchteten in Aufnahmeeinrichtungen: Dabei zeigte sich, dass über drei Viertel der Geflüchteten aus den Herkunftsländern Syrien, Irak und Afghanistan verschiedene Formen von Gewalt erlebt hatten und dadurch oft mehrfach traumatisiert waren. Längst nicht jede und jeder Betroffene entwickelt hierdurch eine behandlungsbedürftige Erkrankung, in vielen Fällen werden traumatische Erlebnisse ohne eine solche verarbeitet. Insbesondere eine gute soziale Einbindung kann dabei helfen, auch nach solchen Erlebnissen gut weiterleben zu können. Gleichwohl braucht es Angebote, die geflüchtete Menschen bei einer Verarbeitung des Erlebten unterstützen können und, wenn nötig, zeitnah eine psychologische und psychiatrische Behandlung ermöglichen. In der Betheler Klinik liegt dabei ein Schwerpunkt auf der Arbeit mit Menschen mit komplexen Traumata.

Aufenthaltsstatus als Problem für langfristige Hilfe

Wie in anderen Bereichen der psychischen Versorgung gibt es auch mit Blick auf Therapieangebote für Geflüchtete oftmals längere Wartezeiten. Hinzu kommt die Herausforderung, dass die Versorgungsstrukturen in vielen Fällen durch kurze Projektlaufzeiten unsicher finanziert sind. Ein weiteres Spezifikum in der Arbeit mit Geflüchteten stellt die Kommunikation mit Behörden dar, insbesondere mit Blick auf Fragen des Aufenthaltsstatus. Manche Betroffene, so berichtete Frau Dr. Möllering, sind zum Zeitpunkt und im Kontext solcher Anhörungen nicht in der Lage, über ihre Erlebnisse zu sprechen, beispielsweise, weil diese zutiefst schambesetzt sind. Dies kann dazu führen, dass das Schweigen in solchen Fällen als mangelnde Kooperationsbereitschaft fehlgedeutet wird oder aber rückgeschlossen wird, das psychische Leiden sei nur vorgetäuscht. In solchen Fällen ist eine fachliche Begutachtung von zentraler Bedeutung, um eine Abschiebung zu verhindern und den Betroffenen Hilfsangebote machen zu können.

Nicht selten sind solche Hilfen für die Seele überhaupt die Voraussetzung dafür, dass die Betroffenen in der Lage sind, ihren neuen Alltag zu organisieren, eine neue Sprache zu lernen und einer Ausbildung oder einer beruflichen Tätigkeit nachzukommen. Insofern ist es mit Blick auf das Leid der Betroffenen von enormer Bedeutung, solche Hilfsangebote zu haben. Darüber hinaus hat aber auch unsere Gesellschaft ein hohes Interesse daran, dass Menschen hier ankommen können.

Hilfen für die Seele
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Kontakt

Dr. Stefanie Westermann
02304 / 755 320
stefanie.westermann@kircheundgesellschaft.de
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