Eine Frage
des Gewissens ...

… ist es, wenn sich ein Mensch dafür entscheidet, in Situationen schweren Leidens von einem Anderen Hilfe zum Suizid zu erbitten. Eine Frage des Gewissens für beide, auch den um Hilfe Angefragten, und ein ethischer Grenzfall, der nicht zum Normalfall werden darf. So steht es in dem Positionspapier der Evangelischen Kirche von Westfalen, das unter Mitwirkung der Evangelischen Akademie Villigst entstanden ist.

223601 Hospiztagung

Gerade ist dem Deutschen Bundestag der zweite Gesetzesentwurf für die Regelung des Assistierten Suizids zugegangen. Dazu hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020einen Auftrag erteilt, nachdem es das bisherige Verbot durch den § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt hatte. Dieser zweite Entwurf - entstanden aus ursprünglich zwei verschiedenen - steht dem ersten gegenüber, der bereits im Bundestag diskutiert worden ist.

Noch ist nicht klar, wann das Parlament entscheiden wird, noch lässt sich auch nicht seriös vorhersagen, welcher Entwurf die Mehrheit erhalten wird – oder ob überhaupt einer der beiden mehrheitsfähig ist.

Klar ist aber: Assistierter Suizid ist nun erlaubt und wird auch rechtlich möglich bleiben. Nicht nur die diakonischen Einrichtungen stellt dies vor eine große Herausforderung, auch jede und jeder Einzelne muss sich zu dieser Tatsache verhalten. Denn sterben müssen wir alle und wie das sein wird, ob betroffen von schwerer Krankheit, plötzlich oder friedlich und lebenssatt, das weiß niemand von uns im Voraus.

Für Christinnen und Christen stellen sich hier grundsätzliche Fragen: Wie ist aus der Sicht des Glaubens, nach theologischem Urteil, nach biblischen Grundaussagen über den Menschen die Möglichkeit des assistierten Suizids zu beurteilen? „Darf man das?“ Oder ist es gegen Gottes Willen, der jedem Menschen das Leben geschenkt hat?

Was bedeutet es überhaupt, das Leben als Geschenk zu empfangen und welche Rolle spielt die menschliche Entscheidungs- und Willensfreiheit?

Mit diesen und weiteren Fragen hat sich der Ständige Theologische Ausschuss intensiv auseinandergesetzt und der Landessynode die Quintessenz des ausführlichen Positionspapiers zur Entscheidung vorgelegt, die sich dann auch mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen hat.

Eine einfache Antwort gibt es darauf nicht. Denn weder Leben noch Sterben sind (immer) einfach. Weder ein striktes Verbot noch eine leichtfertige theologische Sanktionierung erscheinen als sinnvoll und richtig. Eine typisch evangelische Position also – denn die Hochschätzung des christlichen Gewissens und der persönlichen Gottesbeziehung, aus der es erwächst, geht insbesondere auf Martin Luther zurück. Das aber verträgt sich nicht mit apodiktischen Ver- oder Geboten.

Klar und eindeutig spricht das Positionspapier aber eines aus: Dass vordringlich und entscheidend für einen wahrhaft humanen Umgang mit der neuen Rechtslage ein verstärktes Bemühen um allgemeine Suizidprävention auf der Tagesordnung stehen muss. Dabei geht es keineswegs nur um Beratungsstellen und Hilfesysteme im Krisenfall (das sowieso), sondern um grundlegende Veränderungen unserer Gesellschaft hin zu fürsorgenden Gemeinschaften, in denen der größte Risikofaktor für die Abkürzung aus dem Leben, nämlich die Einsamkeit und Exklusion, verschwindet.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat auch in den Kirchen für Unruhe gesorgt. Es beschäftigt weiterhin die diakonischen Einrichtungen, die jetzt neben den wichtigen Wertedebatten auch so manche Rechtsfrage klären müssen. Doch es hat bei all dem auch sein Gutes: Die Ursachen, aus denen Menschen am Leben leiden können, rücken wieder ins Blickfeld. Und diese sind in sehr vielen Fällen gar nicht primär nicht linderbare körperliche Schmerzen, sondern seelische Schmerzen: Einsamkeit, materielle Not und Unversorgtheit, Ängste vor Abhängigkeit und dem zu Last fallen, auch Unwissenheit um die großen Gaben, die Hospiz- und Palliativversorgung darstellen.

Hier liegen die Aufgaben, denen sich die Kirche, Christinnen und Christen widmen müssen und zu denen sie auch die Gesellschaft als Ganze aufrufen. So kann aus dem Urteil, das manche Ambivalenzen hervorgerufen hat, etwas Gutes entstehen – und der assistierte Suizid der seltene Grenzfall bleiben, der er nach diesem Positionspapier sein soll.

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Dr. Friederike Barth
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