Arbeit mit Geflüchteten und Spätausgesiedelten – ein Gespräch zwischen Edgar Born und Julia Stäudle

Julia Stäudle (J) und Edgar L. Born (E), Mitarbeitende des Fachbereichs Flucht, Migration, Integration im IKG, im Gespräch. Der eine wird nach zwölf Jahren im März 2024 das Institut verlassen. Die andere ist gerade mit ihrer Arbeit gestartet.

©Priscilla du Preez_unsplash_klein_Interview Stäudle und Born

E: Du bist erst seit kurzem am IKG. Kannst du ein bisschen von deinen Aufgabenbereichen berichten?

J: Selbstverständlich. In den letzten Wochen habe ich mich in das Arbeitsfeld „Sondermittel der EKvW“ für die Flüchtlingsarbeit eingearbeitet, die gemeinsam von der Diakonie RWL und dem IKG verwaltet und betreut werden. Seit 2014 werden über diese Mittel Aktivitäten, Qualifizierungsmaßnahmen und Personal in der haupt- und ehrenamtlichen Arbeit mit Geflüchteten gefördert. Ab dem kommendem Jahr werde ich von Seiten des IKG Ansprechpartnerin sein und Antragssteller*innen beraten.

Neben den Sondermitteln bin ich außerdem für die Qualifizierung des kirchlichen Ehrenamtes in der Geflüchtetenarbeit zuständig. In den Kirchengemeinden der EKvW gibt es viele Ehrenamtliche, die hierstark involviert und engagiert sind.

E: Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Engagement besonders seit dem Frühjahr 2022 wieder neu an Bedeutung gewonnen hat.

J: Allerdings. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde eine große Fluchtbewegung ausgelöst. Darauf war das staatliche System in Deutschland nicht ausreichend vorbereitet. Ehrenamtliche kompensierten die daraus resultierten Mängel und übernahmen wichtige Aufgaben. Es ist mir ein großes Anliegen, dass dieses Engagement der Kirchengemeinden wertgeschätzt und gefördert wird.

E: Wer engagiert sich ehrenamtlich gerade in der Arbeit mit Geflüchteten aus der Ukraine? Sind da auch Menschen dabei, die selbst einen osteuropäischen Hintergrund haben?

J: In der Tat sind unter den Ehrenamtlichen viele Russlanddeutsche, aber nicht nur. Abgesehen davon sind viele der Ehrenamtlichen schon seit 2015 in der kirchlichen Geflüchtetenarbeit aktiv. Es gibt aber auch Menschen, die sich in Folge des Kriegsausbruches in der Ukraine erstmalig in der Geflüchtetenarbeit engagieren. Viele Ehrenamtliche nutzen die Kirchengemeinden als Plattformen für ihr Engagement.

E: Und in welchen Bereichen engagieren sich Menschen?

J: Manche haben den Geflüchteten Wohnraum angeboten und haben ihnen bei vielen praktischen Fragen beigestanden. Andere haben in den Übergangseinrichtungen Menschen aufgesucht, ihnen bei den Behördengängen geholfen oder bei der Anmeldung der Kinder in Kitas und Schulen. Bei den Behördengängen stellten einige ihre Sprachkenntnisse zur Verfügung und dolmetschten. Wieder andere Ehrenamtliche haben humanitäre Transporte in die Ukraine organisiert.

E: Wie kann das kirchliche Ehrenamt in der Geflüchtetenarbeit aus deiner Sicht gefördert werden?

J: Das ist eine sehr gute Frage, die mich in letzter Zeit stark beschäftigt hat. Mir persönlich ist es wichtig, Angebote für Ehrenamtliche zu schaffen, die auf deren Bedürfnisse und Wünsche ausgerichtet sind. Aber auch die Sichtweise der Geflüchteten muss berücksichtigt werden. Der Austausch mit Ehrenamtlichen und Geflüchteten ist daher notwendig, weswegen ich den direkten Kontakt zu diesen suche.

Ehrenamtliche sind im Rahmen ihres Engagements vielen Belastungen ausgeliefert. Belastend können beispielsweise traumatische Erlebnisse der Geflüchteten sein, von denen Ehrenamtliche im Rahmen ihres Engagements erfahren. Hinzu kommt Frust, der oftmals auf bürokratische Hürden zurückgeführt werden kann. Schulungen können Ehrenamtliche für diese Herausforderungen wappnen. Ich möchte den Ehrenamtlichen den Rücken stärken und sie, wo immer möglich, mit Beratung und passenden Schulungen entlasten.

E: Welche Erfahrungen hast du bereits vor deiner Tätigkeit am IKG mit Ehrenamtlichen gesammelt?

J: Ich war vier Jahre als kirchliche Kinder- und Jugendreferentin tätig. Dabei habe ich sehr eng mit Ehrenamtlichen zusammengearbeitet. Abgesehen davon habe ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit mit dem ehrenamtlichen Engagement russlanddeutscher Freikirchen in Kriegszeiten beschäftigt. Viele Mitglieder dieser Freikirchen engagieren sich für ukrainische Geflüchtete und leisten parallel dazu humanitäre Hilfe in der Ukraine. Dabei kommen insbesondere ihre transnationalen Netzwerke sowie ihre Sprachkenntnisse zum Einsatz.

Du aber warst, bevor du im vergangenen Jahr in den Ruhestand gingst, viele Jahre als Beauftragter der EKvW für die Fragen der Spätausgesiedelten und nationalen Minderheiten zuständig. Dabei hattest du viel mit russlanddeutschen Christ*innen zu tun. Aber wie ich sehe, bist du immer noch da. Kannst du erzählen, wie es dazu kam?

E: Als der Krieg begann gab es im IKG und im Landeskirchenamt die Überlegung, dass es sicher gut ist, wenn jemand mit langjährigen und intensiven Erfahrungen mit Russland zur Verfügung steht, um die Geschehnisse zu analysieren und einzuordnen, und um Ansprechpartner für Gremien und Gemeinden zu sein. Insbesondere aber auch für die Russlanddeutschen und ihre Vereine, die sich besonders unter Druck gesetzt fühlten und Angst haben mussten, für den Krieg mitverantwortlich gemacht zu werden.

J: Wie äußerte sich das?

E: In einem Fall wurde ein russlanddeutscher Verein am ersten Kriegstag in der Frühe von der Stadtverwaltung angerufen mit der klaren Aufforderung, sich von Putin und seinem Krieg zu distanzieren. Aber es ist ja nicht der Krieg der Russlanddeutschen. Am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft wurden sie angesprochen. Nicht wenige haben sich noch mehr zurückgezogen als ohnehin schon. Sie wollen nicht auffallen. Hier war es wichtig, mit den Vereinen und Verbänden der Russlanddeutschen entlastende Gesprächsrunden anzuregen, in denen man vertraulich sprechen kann.

J: Welche Aufgaben haben sich noch ergeben?

E: Auf Anfrage natürlich Vorträge in Gemeindegruppen, die meist einfach wissen wollen, was da eigentlich in der Ukraine passiert und warum. Die Zusammenhänge erfahren und begreifen wollen und auch welche möglichen Folgen es für uns im Westen hat. Natürlich bin ich nicht der einzige Experte zu diesen Fragen. Es ist sehr wichtig, dass sich diejenigen, die die Situation genauer beobachten und analysieren, miteinander austauschen. Ich habe gerade im letzten Jahr viele Expertengespräche geführt.

J: Gibt es – vielleicht im Blick auf die russlanddeutschen Spätausgesiedelten besondere Herausforderungen?

E: Neben den schon genannten ist es auch die Tatsache, dass Putins Regime gerade die Russlanddeutschen in seinen hybriden Krieg hineinzuziehen versucht. Das heißt, dass seine sogenannten „Trollfabriken“ versuchen, zum Beispiel über die sozialen Medien mit Falschnachrichten Verwirrung zu stiften und unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Besonders in dem sie das Vertrauen sowohl in das staatliche Handeln als auch in unsere Medien unterminieren.

J: Was kann aus deiner Sicht dagegen getan werden?

E: Abgesehen von persönlichen, klärenden Gesprächen sind im Bereich politischer Bildung Anpassung vorzunehmen in Richtung von mehr Medienkompetenz. Mir ist aufgefallen, dass manche Russlanddeutschen bei der Kenntnis der Grundlagen unserer Demokratie noch Unterstützung brauchen, um die Grundwerte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Minderheitenschutz, Menschenrechte zu verinnerlichen.

Da könnten es auch interessante Verbindungen zu Deiner Arbeit im Umfeld der Geflüchteten aus der Ukraine geben.

J: Ich freue mich, dass du uns noch einige Monate erhalten bleibst. Somit können wir uns in unseren Aufgabenfeldern, die durchaus gemeinsame Schnittmengen aufweisen, gegenseitig ergänzen und unterstützen.

Kontakt

Julia Stäudle
02304 / 755 372
julia.staeudle@kircheundgesellschaft.de
Iserlohner Straße 25
58239 Schwerte