Sozial gerechter Klimaschutz unter Postwachstums-
bedingungen

Ein Bericht zur Villigster Tagung

245001 Postwachstum

Villigster Tagung zeigte Notwendigkeiten und Restriktionen einer kritischen Debatte um Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftswachstum auf nationaler und regionaler Ebene auf. Prof. Dr. Uwe Schneidewind, amtierender Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, gab aufschlussreiche Einblicke in die sozial-ökologische Transformation auf kommunaler Ebene.

Die neusten Klimadaten zum Jahr 2023 bestätigen: Der Klimawandel bleibt eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Doch wie kann Klimaschutz auch sozial gerecht erfolgen? Diese Frage stellt sich besonders vor dem Hintergrund eines sich auch dauerhaft abschwächenden Wirtschaftswachstums, das die Verteilungsspielräume deutlich verkleinert. Rund 40 Teilnehmer*innen und Referent*innen diskutierten über Chancen und Restriktionen einer sozial gerechten Klimapolitik unter Postwachstumsbedingungen. Die Online-Tagung wurde organisiert vom Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG) der Evangelischen Kirche von Westfalen unter Federführung von Dr. Sven Rudolph, Referent für Klima- und Energiepolitik, sowie dem Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen (AK WiFi) des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) e.V. und dem BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.

Die Tagung widmete sich zwei Schwerpunkten: Der Rolle ausgewählter Instrumente zur gerechteren Ausgestaltung der Klimapolitik auf der nationalen Ebene sowie den Chancen und Restriktionen lokaler Initiativen für ein gutes, genügsames Leben (Suffizienz) auf der anderen Seite.

Prof. Dr. Josef Settele, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, machte auf die Auswirkungen des Klimawandels als indirekten Treiber des Biodiversitätsverlusts aufmerksam. Beide könnten nur durch einen „transformativen Wandel, d.h. die grundlegende, systemweite Reorganisation unserer Gesellschaft über technologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren hinweg, einschließlich Paradigmen, Zielen und Werten“ bewältigt werden. Prof. Dr. Rudi Kurz, Sprecher des BUND AK WiFi betonte, dass dieser Wandel allerdings unter „radikal veränderten Rahmenbedingungen“ stattfinden müsse, nämlich in Zeiten der „Wachstumssklerose“ mit Raten des Wirtschaftswachstums, die selbst in der Langfristperspektive kaum über 0,5% liegen dürften. Damit würden auch die Verteilungskämpfe verschärft, zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, Interessengruppen von Bauern, Industrie und Umwelt, Alt und Jung u.v.a. Doch wie kann dieser Verteilungskampf entschärft werden?

Eine erste Antwort auf diese Fragen gab Anna-Lena Guske, Referentin bei der Diakonie Deutschland:  Klimaschutz könne nur gelingen, wenn Ökologisches und Soziales zusammengedacht werden. Dafür brauche es ein „Zusammenspiel verschiedener Ansätze“ aus einem unmittelbar umzusetzenden Klimageld und individuellen Fördermaßnahmen finanziert aus der CO2-Bepreisung, einer mittelfristigen Reform des haushalts- und fiskalpolitischen Rahmens (Stichwort: Reform der Schuldenbremse), der Sicherung eines sozial-ökologischen Existenzminimums und der gezielten Förderung zukunftsfähiger Infrastruktur. Dr. Joachim Spangenberg, u.a. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des BUND, öffnete die Perspektive weiter und wies auf die sowohl global als auch national extrem ungerechte Vermögensverteilung hin. Lösbar seien die derzeitigen globalen Krisen nur mit „gerechtem Teilen“. Widersprüche dagegen müsse man aushalten, da radikaler Strukturwandel immer Gewinner und Verlierer generiere.

Eben diese Widerstände waren dann auch zentrales Thema im Abendgespräch von Prof. Dr. Angelika Zahrnt, Ehrenvorsitzende des BUND, mit Prof. Dr. Uwe Schneidewind, amtierender Oberbürgermeister von Wuppertal. Fokus war hier die kommunale Ebene. Neben den Problemen wurden aber auch Erfolgsgeschichten lokaler Suffizienzprojekte erzählt (einen Videozusammenschnitt des Gesprächs finden Sie hier)

Eine Klimaandacht leitete den zweiten Tagungstag ein. Dr. Volker Stelzer vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse skizzierte die Regelungen des Wärmeplanungs- und des Gebäudeenergiegesetzes und zeigte konkrete Wege für Kommunen – so z.B. kommunale Zusammenschlüsse, Automatisierung, Quartiersmanagement – hin zu einer Wärmeversorgung der Zukunft auf. Prof. Dr. Mi-Yong Becker und Prof. Dr. Oliver Stengel von der Hochschule Bochum stellten im Anschluss das THALESruhr Projekt vor. Im Projekt werden in enger Kooperation zwischen Hochschule, Zivilgesellschaft und Kommunen „suffizienzorientierte, lokale Räume für eine ressourcenleichte Lebensführung“ geschaffen wie Repair Cafés und die Bibliothek der Dinge.

Dorothee Rodenhäuser von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg sprach die zentrale Rolle der Bereiche Mobilität sowie Bauen und Wohnen für Suffizienz auf kommunaler Eben an. Im letzteren Bereich müsse dabei das Konzept „Innen- vor Außenentwicklung“ weitergedacht und im ersteren die „Stadt der kurzen Wege“ mit konkreten Quartierslösungen konsequent umgesetzt werden. Walter Lechner von der Evangelischen Arbeitsstelle midi stellte christlichen Initiative „anders wachsen“ vor. Diese Initiative agiert vor dem Hintergrund einer christlichen Auseinandersetzung mit der Wachstumsideologie sowohl politisch und leistet Bildungsarbeit. Darüber hinaus etabliert sie vor Ort Projekte wie die Generationsrikscha oder den TUKAN Kleidertausch. Zuletzt berichtete Prof. Dr. Philipp Schepelmann von den Erfahrungen im FULFILL Sufficiency Projekt am Wuppertal Institut. In einer Analyse von europaweit 45 Initiativen stellten sich als wesentliche Herausforderungen für lokale Suffizienz heraus: Zeit und Geld, Arbeitsbelastung des Ehrenamts, Legislative und administrative Hürden, organisatorisches und administratives Know How, die Kommunikation mit städtischer Verwaltung.

In einer regen Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Angelika Zahrnt, Astrid Hake vom Ökumenischen Netzwerk Klimagerechtigkeit, Prof. Dr. Reinhard Loske, u.a. ehemaliger Umweltsenator der Stadt Bremen und Dr. Sven Rudolph, Referent für Klima- und Energiepolitik am IKG, wurden abschließend vor allem die Schwierigkeit diskutiert, im derzeitigen Politikbetrieb eine kritische Wachstumsdebatte zu führen. Betont wurde aber auch die Verfügbarkeit alternativer Indikatoren für ein gutes Leben jenseits des Bruttoinlandsprodukts und die Notwendigkeit, dies auch weiterhin ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.

Von den Teilnehmer*innen wurde die Tagung als zwar streckenweise inhaltlich herausfordernder, gleichsam aber erkenntnisreicher und anregender Austausch zwischen Wissenschaft, kommunaler Politik, kirchlichen und Umweltverbandsakteuren empfunden. Hervorgehoben wurde dabei auch die Nützlichkeit der „strategisch orientierenden Erkenntnisse“, die in eigene Aktivitäten vor Ort umgesetzt werden könnten. „Ich war beeindruckt von der hohen Qualität der Vorträge … und hing mit offenen Ohren und Augen an meinem Bildschirm“, so eine Teilnehmerin der Tagung.

Wir freuen uns daher gemeinsam, bereits am 7./8. Juni bei der Tagung KlimaNetz 2024 im Haus Villigst an die hier diskutierten Fragen anzuknüpfen und am 13./14. November die Diskussion um lokale Suffizienz-Initiativen (demnächst auf der Veranstaltungsseite des IKG) online zu vertiefen.

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Dr. Sven Rudolph, Referent für sozial gerechte Klima- und Energiepolitik

Kontakt

Dr. Sven Rudolph
02304 / 755 349
sven.rudolph@kircheundgesellschaft.de
Iserlohner Straße 25
58239 Schwerte